treibhaus

Kulturprogramm für Stadtbenützer

Spielplatz am Volksgarten. Angerzellgasse 8, 6020 Innsbruck. Geöffnet alltäglich von 16:00 bis Sperrstund ist.

ANDREAS VITASEK SPIELT HELMUT QUALTINGER'S "DER HERR KARL"

Begeben Sie sich mit uns in die ultimative Horror-Show der österreichischen Grauslichkeiten. Der Staatsbürger:innen-Pflichttermin, von Presse wie Publikum gefeiert, geht in die neue Saison!
Wenn Dummheit zu Recht wird, wird DER HERR KARL zur Pflicht!
Ob die Wiederauferstehung des Blockwarts im Tarnanzug von Hipster-Bobo-Helikopter-Eltern, Impfgegnerinnen, Kleinwalsertal-Fanboys (und -girls), Staatsverweigerern oder Ibiza-Verharmloserinnen – die Liste der österreichischen Grauslichkeiten ist lang und wird immer länger.
Wer wäre passender, um mit seinen Wiener Wurstfingern in den Wunden zu bohrln, als DER HERR KARL und wer, wenn nicht Andreas Vitásek, sollte den ewigen Denunzianten aus der Quarantäne auf die Vorstadtbühne holen?
Auch wenn der Schilling dem Euro weichen musste und Facebook längst den Bassenatratsch ersetzt hat, so fehlt es auch heute nicht an Wendehälsen und Vernaderern – ob im Onlineforum oder bei Pressekonferenzen – Wien bleibt Wien!

Andreas Vitásek gelingt das beinah unmögliche Kunststück, Helmut Qualtinger in seiner Glanzrolle des böse angepassten Wieners fast vergessen zu lassen. (Die Presse)
Vitásek zeigt, dass "Der Herr Karl" nicht nur das kuriose Exemplar einer Sozialfauna längst vergangener Zeiten ist, sondern hochaktuell. (Kurier)
Andreas Vitáseks "Herr Karl" kann sich mit dem Original durchaus messen. (Wiener Zeitung)

Andreas Vitasek ist "Der Herr Karl"

Der Herr Andi hat seine Stimme tiefer gelegt und sich ein wenig schwerer gemacht. Aber verstellen braucht er sich nicht sehr, um als Herr Karl durchzugehen. Dass Andreas Vitasek Helmut Qualtinger nicht nachmachen wird, wenn er den von Qualtinger und Carl Merz gemeinsam verfassten legendären Mitläufer-Monolog "Der Herr Karl" auf die Bühne bringt, war klar. Aber dass ihm die Rolle so perfekt passen wird, hat am Dienstag im Rabenhof doch überrascht.
Vitasek hat - zum Glück - kein großartiges Konzept für seine Neuinterpretation. Es gibt keine aufdringlichen Aktualisierungsversuche, nur zwei, drei Insider-Anspielungen (auf den Herrn Direktor und den neuen Rabenhof-Punschstand vor dem Theater, sowie ein Zappzarapp-Eigenzitat), dafür eine Tapetenwand, auf die gelegentlich alte Fotos projiziert werden. Der Rabenhof von einst (als seine Wohnadresse gibt dieser Herr Karl nicht "Grösslgasse 15" sondern "Rabengasse 3" an), ein Arbeitssuchender aus den 30er-Jahren, Adolf Hitler und die berühmte Staatsvertrags-Balkonszene werden gezeigt, später ein paar idyllische Postkarten vom Großglockner, dem Semmering, der Wachau und von Mariazell. Das hätte man sich schenken können. Der Geschichtsunterricht im Frontalvortrag wird mit multimedialer Unterstützung bloß gestört. Und das Motto lautet sowieso: "Sie san' ja zu jung!"
Andreas Vitasek ist 64, den Herrn Karl hat er im Text 60 gelassen ("Schaun S'mi an! Sechzig Jahr! Und nie krank g'wesen."), Qualtinger selbst war bei der Uraufführung unglaubliche 33 Jahre jung. So jung ist vielleicht gerade der unsichtbar in den Kulissen sitzende "Auszubildende", den Vitasek ein paar Mal als Souffleur benötigt. Der Lehrling der Delikatessenhandlung, in deren Keller man sich eigentlich befindet, und damit der Ansprechpartner des Monologisierenden ist dagegen natürlich das Publikum. Alles Atmosphärische ist in Text und Ausstattung jedoch gestrichen. Es gibt keine Chefin, gegen die der Herr Karl gleichzeitig buckelt und aufmuckt, und es gibt keine Regale, Fässer, Kisten und Konserven. Es gibt nur die Bühnensituation. Und den genialen Text, der heute wie damals seine Wirkung entfaltet.

Völlig zurecht arbeitet Vitasek weniger den politischen Wendehals als die Tragödie des alten, weißen Mannes heraus. Für die "Madln" hat er immer was übrig gehabt, auch für die weibliche Kundschaft bei der Hauszustellung, doch seine Gattinnen haben ihn immer furchtbar enttäuscht, jammert er. Nein, dieser Typ Mann ist noch nicht ausgestorben, bloß äußert er sich heute vielleicht anders.
Nachdem Hermann Leopoldi "Erst kommt Österreich, dann kommt lang nix" gesungen hat, unternimmt Herr Karl mit einem Freund eine kleine Österreich-Rundfahrt. Und plötzlich kommt uns diese Art von Patriotismus wieder unheimlich aktuell vor, sie springt uns in den Heimatliedern eines Andreas Gabalier ebenso an wie in der Tourismus-Werbung angesichts der Corona-Pandemie. Am Ende klingt Marlene Dietrich aus den Lautsprechern: "Wenn ich mir was wünschen dürfte / Käm ich in Verlegenheit / Was ich mir denn wünschen sollte / Eine schlimme oder gute Zeit." Der Herr Karl weiß jedenfalls: "Man hat sein Leben nicht umsonst gelebt. Und das ist vielleicht das, worauf's ankommt..."
Langer Applaus nach etwas über einer Stunde Spielzeit. Bravorufe unterblieben wohl nur dank der vom Publikum diszipliniert getragenen Masken.

PREMIERENKRITIK salzburger nachrichten - 21.10.2020

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