treibhaus

Kulturprogramm für Stadtbenützer

Spielplatz am Volksgarten. Angerzellgasse 8, 6020 Innsbruck. Geöffnet alltäglich von 16:00 bis Sperrstund ist.

PiLGERBRUDER WERNER KRÄUTLER: SEIN SPAZiERGANG ANS ENDE DER WELT.

115 Tage hat Werner Kräutler im heurigen Sommer gebraucht, um von Rietz im Tiroler Oberland nach Finisterre am Ende der Welt zu spazieren. Was andere pilgern nennen war für ihn vor allem eine Fußreise durch die Kulturgeschichte Europas. Er hatte die Via Podiensis in Frankreich und den Camino Francès in Spanien früher schon absolviert und wurde nun Zeuge der teils tiefgreifenden Veränderungen an den Wegen. 

Kräutler wird am 6. Dezember ab 20 Uhr im Treibhaus Innsbruck von seinen Erlebnissen und Beobachtungen in Bild & Ton & Gschichtln berichten. Die dazugehörige Vernissage von Fotos der Reise findet 2 Tage später im Kooio in der Mariahilfstraße 40 statt.

Aus den rund 2.000 Fotos meines 'Kulturspazierganges ans Ende der Welt' die besten herauszusuchen, um mit ihnen Vortrag & Ausstellung zu gestalten, ist eine Herkulesaufgabe. Hier einige Kostproben.



Am Ende der Welt: die letzten Meter.

Die 15. und letzte Woche meines Spazierganges wird mich Schritt für Schritt meinem eigentlichen Ziel näherbringen. Santiago lasse ich hinter mir (nicht ohne denen eins hineinzusemmeln - siehe unten) und lustwandle 4 Etappen lang durch uraltes neolithisch-keltisches Land, Galizien genannt. Der ‚Camino Fisterra‘ führt von Santiago aus dorthin, wo die Welt zu Ende ist. Und dieses Ende verorte ich vor allem in einer unfassbar attraktiven Bar in Finisterre, die ‚A Galeria’ genannt wird. Erst hier ist’s für wahre Kulturspazierer und Freunde gepflegter Welten-Wanderungen quasi aus und vorbei.
Während mich die Verfechtersleute der Flacherde immer wieder vor dem jäh auftretenden Weltenende warnen, wage ich mich trotzdem todesmutig an deren alleräussersten Rand. Dorthin, wo Stürme toben und grausame Seeungeheuer ihr Unwesen treiben und der Ozean plötzlich im Nichts versinkt. Dorthin, wo zuerst Bronzezeitler, dann Kelten und Römer zogen und heute Vögel wie ich inne halten um in die Weiten des Atlantik zu blicken.
Nur eine aussergewöhnliche Institution bietet umfassenden Schutz vor dem Sturz über die Welten-Scheibe. Es ist die Bar ‚A Galeria’ In Fisterra. In der schönsten Bar der Welt muss ich mehrere Tage verweilen um mich gegen die drohenden Gefahren zu immunisieren. Das erfolgt unter Einnahme grandioser Swing-Musik, galizischer Geheimsäfte und genialer Tappas.
Der solcherart gestärkte Didier d‘Autriche darf erst dann an die eigentliche, höchst gefahrvolle Schlussaufgabe herangehen, den absoluten Nullpunkt des Sternenweges aufzusuchen. Der Erfolg dieser haarsträubend lebensgefährlichen Expedition sollte anschliessend in der Leuchtturm-Bar am Kap Fisterra mit einem ordentlichen Drum Laphroaig begossen werden. Dieses (schottisch-keltische) Trankl vertreibt Seeungeheuer gleichermassen wie übel gesinnte Flacherdler. Darüber wird noch in einem Abschlussbericht zu lesen sein.
Aber nun noch einige Worte zu Santiago, das ich kürzlich passieren durfte. Es sind 2 Dinge, die ich los werden will:
1. Wenn es Kirche und/oder Stadt für notwendig erachten, den Obradoiro-Platz mit einem weiss-kitschigen, pfeifenden „Bummelbär-Zug“ quasi zu entweihen und Luxuskarossen der Hotelgäste der Nobelherberge ‚Parador’ mit ihren Millionenschlitten den historischen Platz zu einem schnöden Parkplatz machen dürfen ist‘s nicht mehr ‚mein‘ Obradoiro, nicht mehr ‚mein Santiago‘. Hier haben sich Pilgersleute jahrhundertelang nach ihrem langen Spaziergang niedergesetzt, Tränen der Freude vergossen und ihre neu gewonnenen Pilgerfreunde umarmt. Von hier aus sind sie dann über die Treppen zur ‚Pórtica da Gloria’ hoch gestiegen, um die Kathedrale zu betreten. Dieser Zugang ist jetzt auch für Pilgersleute verriegelt, das Prachtportal unsichtbar. Die Beliebigkeit hat also selbst an diesem historischen Platz wieder einmal über die Geschichte, die Schönheit und Ausgeglichenheit gesiegt. Walt Disney würde jubeln.
2. Wenn die Kirche glaubt, den Botafumeiro (das ist das riesige Weihrauchfass, das einst die feinen Nasen der Priesterkaste mit Wolken aus wohlriechendem Harz vor den Ausdünstungen der gemeinen Pilger schützen sollte) nur noch dann schwingen zu wollen wenn jemand 450 € dafür löhnt, dann verzichtet sie grob fahrlässig auf kultisches Brauchtum. Weihrauch dokumentiert höchste Feierlichkeit und wird in sog. Hochämtern eingesetzt. Damit verkommen Pilgermessen zu normalen Messen wie sie täglich auch in Hintertupfingen gelesen werden. Eine gröbere Missachtung der vielen Pilgersleute, die hunderte, wenn nicht sogar tausende Kilometer weit hierher geeilt sind gibt‘s eigentlich gar nicht. Aber: Die Kirche macht wieder einmal auf bettelarm. Offenbar um ihren unermesslichen Reichtum zu kaschieren. Ein tägliches Schäufelchen Weihrauch würde die Kirche sicher nicht in den Bankrott führen.
Von den Security-Guards in der Kathedrale red ich jetzt gar nicht. Die gehören offenbar auch zur Inszenierung.
Zusammengefasst: Santiago ist zu einem Ort verkommen, in dem die Händler den Tempel übernommen haben und verkommene Beliebigkeit fröhliche Urständ feiert. Aber das hätte ich ahnen können. Auch deshalb rate ich allen potentiellen Pilgersleuten, Finisterre und die Bar A Galeria als eigentliches Abschlussziel zu wählen.

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