treibhaus

Kulturprogramm für Stadtbenützer

Spielplatz am Volksgarten. Angerzellgasse 8, 6020 Innsbruck. Geöffnet alltäglich von 16:00 bis Sperrstund ist.

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DAS SCHOTTISCHE PRINZIP: ANDERS WÄR. FRAUEN.BAND-E

Die instrumentale Meisterinnenschaft von Bassistin Jana Mitrovic, Gitarristin Viktoria Mezovsky und Schlagzeugerin Jennifer Gitschner kracht  auf Julia Reißners gleichzeitig assoziativ und feinmechanisch anmutende Texte und ihre überwältigende Stimme, eine Stimme wie aus der Unterwelt, donnernd tief oder vogelartig hoch, nichts in der Mitte, nichts. Jeder dieser Songs zerrt einen über irgendeine Grenze....
Das Schottische Prinzip ist ungefähr das, was dabei herausgekommen wäre, hätten Nico, Wolf Biermann und Nina Hagen eine Band miteinander gegründet, hätten eine lange Bildungskarenz im London der späten 70er-Jahre eingeschoben und wären nach längerem Hin und Her gleichermaßen desillusioniert wie inspiriert in Wien aufgetaucht.

Sie seien „eine Brecht-Oper meets Hildegard Knef meets Punk meets Girl Band“, sagt Kuratorin Anna Mabo, „Viele Einflüsse, von denen man meint, dass man sie kennt, aber nicht gemeinsam.“ Und sie hat recht, denn dem Programmschreiber fallen zum Beispiel zur charakteristischen Stimme von Frontfrau Julia Reißner ein paar Vergleiche ein (Dana Margolin von Porridge Radio, Lene Lovich oder Amelia Fletcher von Talulah Gosh), die aber wenig zum Gesamt-Sound des Schottischen Prinzips zu sagen haben.

Das Schottische Prinzip ist eben unglaublich viel auf einmal. Ihr Ko-Label-Chef Ernst Molden versuchte es einmal so zu fassen: „Hier ist eine unerhörte neue Band. Das Album ‘Jolly‘ von Das Schottische Prinzip bringt uns auf bedrängende und bezaubernde Weise bei, dass sie eh total anders ist, die Welt. Bestürzend anders, rauschig und verunsichernd anders. Was dieses Quartett um Poetin, Sängerin und Multiinstrumentalistin Julia Reißner auf seinem Debut aufführt, hat die Kraft, die Kunst und die Entschlossenheit, jede einzelne Hörerin, jeden einzelnen Hörer dauerhaft zu verändern. Die instrumentale Meisterinnenschaft von Bassistin Jana Mitrovic, Gitarristin Viktoria Mezovsky und Schlagzeugerin Jennifer Gitschner kracht auf Julia Reißners gleichzeitig assoziativ und feinmechanisch anmutende Texte und ihre überwältigende Stimme, eine Stimme wie aus der Unterwelt, donnernd tief oder vogelartig hoch, nichts in der Mitte, nichts. Jeder dieser Songs zerrt einen über irgendeine Grenze. Zeilen, Takte, Schläge und Rufe dieser Liedersammlung bleiben an uns hängen und gehen nicht mehr weg, wie ungerufene Geister.“

Es ist Spätsommer, und bei unserem Label Bader Molden Recordings herrscht Jubel: Das zweite Album der Band Das Schottische Prinzip, GOLDEN VOYAGER RECORD VOL. III, steht vor der Tür.
So fest ich mir vorgenommen habe, nichts an diesem Kunstwerk erklären zu wollen, sage ich doch etwas zum Titel: 1977 sandte die NASA ihre beiden Sonden Voyager I und II ins All, mit dem Ziel, unser Sonnensystem zu verlassen und den interstellaren Raum zu erkunden. Jede der bis heute auf der Reise befindlichen Sonden trägt eine goldene Schallplatte an Bord. Darauf unter anderem Musik von Bach, Mozart, Brahms bis hin zu Blind Willie Johnson und Chuck Berry, sowie, tatsächlich, eine Audiobotschaft von Kurt Waldheim, damals UN-Generalsekretär. Waldheim sagt mit seiner Zwiebackstimme zu den eventuellen folks out in space: „We step out of our solar system into the universe seeking only peace and friendship!“
Diese Worte an die Außerirdischen dürfen nicht die letzten gewesen sein, befindet nun Das Schottische Prinzip. Und schickt GOLDEN VOYAGER RECORD VOL. III als körperlose Sonde hintendrein. Darauf windet sich eine zwölfköpfige Familie beängstigend intelligenter Ohrwürmer, die von der Menschenwelt 2025 erzählen. Cut-up-Geschichten von Seelen, die einander begegnen, einander lieben, sich trennen, die blühen oder krank sind, die an Träumen oder an Widerstand arbeiten, die allesamt eine unbedingte Gegenwärtigkeit besitzen. In einer gerechten Welt, finde ich, sollte dieses Album mindestens einen neuen Stil, vielleicht eine neue Ära einleiten.
Vor bald sechs Jahren tauchten Julia Reißner und ihr Vaudeville-Punk-Bandprojekt Das Schottische Prinzip in meinem Leben auf, bei einem unpackbaren Konzert, das sie im Café Carina am Wiener Lerchenfelder Gürtel spielten. Eine verschwitzte, semikontrolliert explosive Mischung aus treibender, ja, Tanzmusik, und Texten, die auf fiebrige Weise zwischen Unbewußtem und vierter Metaebene hin und her oszillierten. Diese Texte, in Julia Reißners so unter- wie überweltlicher Stimme gesungen, verstand man nur teils, weil Café Carina und demgemäß glückselig berauschtes Publikum, aber egal: Die Fetzen reichten aus. So ist es stets mit der Kunst Julia Reißners und des Schottischen Prinzips: Fetzen reichen vollkommen aus.
In Julia Reißner sind die Musikerin und die Sprachkünstlerin genau gleich groß und mächtig. Sie streiten nicht um die Vorherrschaft, sie stehen bloß abwechselnd vorn. Ein changierendes Zwillings-Künstlerwesen, alte Kulturen hätten so jemanden vermutlich im Schamanismus beschäftigt.
Mit der Schlagzeugerin Jennifer Glitschner, der Bassistin Jana Mitrovic und der Gitarristin Viktoria Mezovsky stehen ihr die idealen Priesterinnen für ihre Art des Voodoo zur Seite. Die Band hat für diese zweite Album mit dem in Österreich lebenden brasilianischen Produzenten Felipe Scolfaro Crema (Studio Crema) zusammengearbeitet, und der hat getan, was er seit Jahren am allerbesten kann: den Raum (zwischen den Fetzen) in all seiner Tiefe auszuloten. Diese Platte führt auch dank seiner Unterstützung, tatsächlich „out of our solar system into the universe“.
„Nimm die Räucherschale und befülle sie mit Kohle“, appelliert Julia Reißner in der munteren Armageddon-Polka „Posaunen“, im selig-traurigen Trennungssong „Auerhahn“ singt sie aber: „Du tust mir leid, du tust mir leid, du tust mir weh“.
Und wir, wir jubeln. Charlie Bader und ich wünschen allen Menschen viel Vergnügen mit dieser schönen Platte.
Ernst Molden, August 2025

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