treibhaus

Kulturprogramm für Stadtbenützer

Spielplatz am Volksgarten. Angerzellgasse 8, 6020 Innsbruck. Geöffnet alltäglich von 16:00 bis Sperrstund ist.

CALEXICO

Joey Burns & John Convertino's TUSCON DESERT ROCK zwischen CALifornien & mEXICO

Tex-Mex, Jazz, Folk und Mariachi: Calexico schafft es, die Grenzen zwischen USA und Mexiko zu überwinden. Amerikanische Roots und mexikanische Folklore: Bei Calexico finden zwei Parallelgesellschaften zueinander. Es steckt bereits in ihren Namen: Calexico. Da schwingt Mexiko und ein bisschen Kalifornien mit. Niemals zuvor konnte man den Grenzverkehr zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden sprichwörtlich hören: Calexico aus Tucson, Arizona, haben sich nach der Grenzstadt zwischen den USA und Mexiko benannt - und sie singen vom Schicksal der illegalen Einwanderer und der Grenzgänger zwischen den beiden Welten.
"Ich bin der Überzeugung, dass sich alles irgendwie annähert; die multikulturelle Gesellschaft, Technologien, Philosophien, usw. Musik spiegelt lediglich das wieder, was da draußen vor sich geht. Aber ganz am Ende geht es doch nur darum, dass dein Herz am richtigen Platz sitzt und man genügend Spielraum für musikalische Raffinessen, Nuancen und dynamische Elemente lässt. Dieser Raum ist extrem wichtig und wir versuchen, die Musik frei atmen zu lassen und das Gefühl in eben diesem Raum einzufangen" (Joey Burns)

Beeindruckend, tief beeindruckend! An der Oberfläche ist das ein weitgehend eingäniges Werk mit deutlichem Bezug zu den frühen Calexico-Tagen. Man könnte die ganze Band für Schmeichler und Troubadoure halten, die sich manches Country-Flair und manchen Mariachi-Frohsinn zu eigen machen, um behagliche Lagerfeuermusik anzurichten. Der Schein trügt. Unter diesen Oberflächen lauert vorwiegend Dunkles. Das Gespann Joey Burns-John Convertino versteht es, brilliante "soundscapes" für vielschichtige Texte zu entwerfen, die eben nicht nur von hitzestarrenden Käffern im Grenzgebiet von Mexico erzählen, sondern auch von einem Winter in Moskau und dem Schicksal dort vermisster Personen; von dem großen chilenischen Musiker Victor Jara, der von der Junta einst ermordet wurde; von den ziellosen Reisen von Glücks- und Gottessuchern quer durch die USA. Und wenn man da etwas eindringt, in diese Stories hinter dem Schönklang, dann entdeckt man, wie kunstvoll die bei Calexico stets wie von leichter Hand geschaffenen weiten, sehr weiten Räume die erzählten Geschichten grundieren, ergänzen und erweitern - mit einer enormen emotionalen Palette. Die Band geht nicht auf "Nummer sicher", sie feilt einfach nur unbeirrt weiter an ihrem Sound. Nichts ist hier so raffiniert wie das Einfache! Großes Album - neben "Feast Of Wire" mein Lieblingswerk der Band.

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"Ich bin der Überzeugung, dass sich alles irgendwie annähert; die multikulturelle Gesellschaft, Technologien, Philosophien, usw. Musik spiegelt lediglich das wieder, was da draußen vor sich geht. Aber ganz am Ende geht es doch nur darum, dass dein Herz am richtigen Platz sitzt und man genügend Spielraum für musikalische Raffinessen, Nuancen und dynamische Elemente lässt. Dieser Raum ist extrem wichtig und wir versuchen, die Musik frei atmen zu lassen und das Gefühl in eben diesem Raum einzufangen"

So antwortet Joey Burns, Sänger, Gitarrist und Songwriter von Calexico 1998 auf die Frage nach dem Einfluss lateinamerikanischer Musik auf seinen Stil. Überhaupt ist die Musik von Calexico eine Frage des Stils, oder besser: der ständige Versuch einer Stildefinition. Sämtliche Berichte über die Band lesen sich wie eine verzweifelte Suche nach nötiger Klarheit. Immer wieder stößt man auf ellenlange Reihungen, die sich aufmachen, die höchst unterschiedlichen Richtungen wie TexMex, Folk- und Country-Rock, Country-Folk, Mariachi-Sound, Mood-Music, Western-Sound, Latin-Jazz oder auch Desert-Rock und Gringo-Rock unter einen Hut zu bringen...und meistens scheitern.
Ob mit Tucson-Desert-Rock, dem jüngsten Etikettierungsunterfangen der Kritikerszene, nun eine aussagekräftige Bezeichnung gefunden worden ist, sei dahingestellt. Letztendlich ist es auch nicht nötig. Schließlich lassen sich die unterschiedlichsten musikalischen Einflüsse nicht leugnen, mit denen Calexico virtuos experimentieren.
Die 1996 in Tucson/Arizona ins Leben gerufene Band bezieht sich explizit auf ihre gleichermaßen amerikanischen und mexikanischen Wurzeln. Ein Umstand, der bereits durch den Namen zum Ausdruck kommt. Das tatsächlich existierende Grenzkaff Calexico ist ebenso zwischen zwei unterschiedlichen Welten und Einflüssen gefangen, wie sich die Musik von Burns und seinem Partner John Convertino, Schlagzeuger und Multiinstrumentalist, permanent zwischen scheinbar gegensätzlichen Stilen hin und her bewegt, ohne einen wirklich greifbaren Anhaltspunkt zu bieten.
"Wir leben in Arizona. Aber was war hier früher? Es war einfach nur das Land der indianischen Ureinwohner. Es ist diese Vorstellung von existierenden Grenzen oder nicht existierenden Grenzen oder auch dem resultierenden Gegensatz dieser beiden Widersprüche, der uns umtreibt. Ich glaube, indem man Einflüsse aus anderen Quellen benützt, z.B. unsere Nachbarn und die Mariachi-Bands oder der Latin Jazz aus New York oder Südamerika, oder auch die Musik, die wir über die Jahre gemacht oder gehört haben – das alles entfaltet sich in unserer Idee, diese unterschiedlichen Elemente zu vereinigen."
Burns bezeichnet sich und seinen kongenialen Partner Convertino als "Frankensteins of instruments" und spielt damit auf die klangliche Vielfalt ihrer Musik an, die von einfachem Schlagzeug und Gitarre, über Mundharmonika, Mariachi -Trompeten bis hin zu Marimbas, Vibraphon, Pedal-Steel-Gitarren und Harpsichord alles zu bieten hat.
"Im Laufe der Jahre war es eine natürliche Folge, dass wir mit den verschiedenen Instrumenten, die wir gesammelt haben, auch unsere eigene Musik machen wollten. Einige dieser Instrumente haben wir aus einem Laden namens The Chicago Store in Tucson gerettet, der eine Art Instrumentenfriedhof ist. Man läuft durch enge Gänge und kleine Tunnels und findet dort all diese Instrumente, bedeckt mit dem Staub der letzten Jahrzehnte, und wir erwecken sie wieder zum Leben und geben ihnen eine Chance auf unseren Platten zu singen."
So ist auch die Gründung der Band vielmehr das Ergebnis zahlreicher Sessions und Ideenfragmente als eine geplante Aktion und fällt mit dem Release der Low-Budget-Produktion "Spoke" (1996) zusammen (ursprünglich nur in Europa veröffentlicht), wo sie sich erstmals als musikalische Grenzgänger zeigten.
Doch auch die Jahre davor waren die beiden nicht untätig. Bereits 1990 beginnt die Zusammenarbeit von Burns und Convertino unter der Fittiche von Howe Gelb, dem Mastermind der Kultband Giant Sand, die bis 2003 andauert. Es ist genau diese Zeit, in der sie durch die Zusammenarbeit mit den unterschiedlichsten Musikern ihren eigenen Stil entwickeln konnten, darunter Bands wie Friends of Dean Martinez und OP8.
Zwei Jahre später, 1998, erscheint das Album "The Black Light", auf dem sie den bereits mit "Spoke" eingeschlagenen Weg fortsetzen und sowohl in der Independent-Szene als auch bei den Kritikern für höchste Aufregung sorgten. Mit "The Black Light" legten Calexico den Grundstein für ihren unverwechselbaren Stil. Das als Konzeptalbum angelegte Werk ist stark instrumental ausgerichtet und erzählt auf angenehm unaufdringliche Weise Geschichten von Abschied und Einsamkeit oder von schießwütigen Desperados.
Ein Erlebnis der besonderen Art sind die fulminanten Live-Auftritte von Calexico, wobei die Besetzung der Band mit jeder Tour variiert. So kann es schon mal vorkommen, dass Burns und Convertino beschließen, eine ganze Besetzung original mexikanischer Mariachi-Bläser mit auf die Bühne zu bringen und für einen Abend die Atmosphäre von Tucson-Downtown in Europas Konzertsälen heraufbeschwören.
Dabei kann man sich kaum der fast psychedelischen Aura entziehen, die über der Musik von Calexico schwebt. Eine Aura, die Joe Burns als völlig natürlichen Bestandteil des Alltags in Arizonas betrachtet: "In Arizona muss man keine Drogen nehmen um high zu sein. Die psychedelische Aura ist in der Luft, in der Sonne und am Himmel. Mir persönlich reicht es eigentlich Tequila und guten mexikanischen Wein zu trinken."
Die sonore, teilweise fast eintönige Stimme von Burns - prachtvoll unterstützt vom Spiel seiner Gitarre - ergänzt sich dabei hervorragend mit Convertinos kompromisslosen Drum- und Perkussionspiel. Für den Hörer baut sich dabei ein eindringliches Klangbild der Einöde des nordamerikanischen Südwestens auf, wo die flimmernde Hitze der Wüste förmlich auf der Haut brennt.
Nach dem Achtungserfolg von "The Black Light" schießt der Nachfolger "Hot Rail" (2000) von 0 auf 43 in den deutschen Charts und steigt sogar bis auf Platz sechs in den griechischen. Der Ohrwurm-Single "Crystal Frontier" (2001) folgt 2003 das von Kritikern wieder hochgelobte Album "Feast Of Wire", das sich in vierzehn europäischen Charts platziert.
Nach der Live-DVD "World Drifts In" (2004) stürzen sich Convertino und Burns in verschiedene Projekte. Sie schreiben für und spielen mit Nancy Sinatra, Laura Cantrell und Neko Case, treten als Bar-Band im Tom Cruise-Film "Collateral" auf und veröffentlichen das Album "In The Reins" (2005) mit Iron & Wine, mit dem sie in den USA auch auf Tour gehen.
Im September 2008 kommt "Carried To Dust" in die Läden, das im Gegensatz zum folklastigen Vorgänger "Garden Ruin", der sich explizit mit der verfehlten Politik der Bush-Regierung auseinandersetzt hatte, mit der Rückkehr von Bläsern und weltmusikalischer Anleihen wieder einen anderen Weg einschlägt.
"Darum ging es uns schlussendlich: Der Vorgänger war so groß angelegt und beschäftigte sich mit Bush, dem amerikanischen Werteverfall und dem Krieg im Irak. Diesmal wollten wir einfach auf den Boden der Tatsachen zurückkehren und den Blick auf den 'kleinen Mann' innerhalb dieses unmenschlichen Systems richten, um eine Brücke zwischen Protest und Poesie zu schlagen."


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schallplattenmann.de
Interview

mit John Convertino (Calexico): »Wie eine Rückkehr«

Der Schlagzeuger von Calexico über "Carried To Dust", die Wüste und Trompeten
"Carried To Dust": Schon der Titel zeugt davon, dass Calexico zurück in der Wüste sind. Gitarrist und Sänger Joey Burns und Schlagzeuger John Convertino haben ihr neues Album wiederum in der Wüstenstadt Tucson im US-Bundesstaat Arizona aufgenommen. Dabei klingt "Carried To Dust" nach dem Alternative-Rock-Album "Garden Ruin" (2006) durch sehnsüchtige Gitarren, eigenwillige Schlagzeugpassagen und vor allem den gekonnten Einsatz mexikanischer Mariachi-Trompeten wieder mehr nach dem bekannten, mythisch angehauchten Calexico-Stil. Was dennoch alles neu ist und warum ihn die Entwicklung der Musikszene traurig stimmt, darüber hat John Convertino mit unserem Mitarbeiter Helge Buttkereit gesprochen.

Helge Buttkereit: Wenn man "Carried To Dust" mit dem Vorgänger "Garden Ruin" vergleicht, dann klingt es wieder mehr nach Calexico. Liegt das daran, dass Sie für die Aufnahme in die Wüste nach Tucson zurückgekehrt sind?

John Convertino: Ja, es ist ein wenig wie eine Rückkehr. Aber ich denke, die Band ist immer noch dabei ihr Credo zu erfüllen und neue Sachen zu machen. Es war gut, für "Garden Ruin" eine Pause in der Arbeit mit unserem Produzenten Craig Schumacher einzulegen. Für ihn und für uns. Das spürten wir, als wir uns jetzt wieder neu an die gemeinsame Arbeit machten.

In der Tat klingt das Album auch wieder frisch. Es sind neue Spielarten des alten Sounds zu erkennen.

John Convertino: Wir haben etwas von dem einfließen lassen, was wir mit "Feast Of Wire" [2003], "Hot Rail" [2000] oder "The Black Light" [1998] gemacht haben. Aber in einer anderen Art und Weise. Craig Schumacher hat dann mit seiner Art, die Musik zusammen zu mixen, eine neue Qualität erreicht. Vor allem was das Schlagzeug angeht.

Gute Alben entwickeln sich, wenn man sie mehrfach hört, und so geht das auch mit "Carried To Dust". Immer deutlicher wird auch der Spaß, den Sie bei der Aufnahme hatten.

John Convertino: Es war wirklich toll. Ganz anders als sonst war, dass Joey [Burns] und ich zunächst die ersten Aufnahmen alleine gemacht haben, also Gitarre und Schlagzeug. Gut, bei dem einen oder anderen Track war dann noch Paul Niehaus mit der zweiten Gitarre dabei. Danach haben wir die anderen Bandmitglieder einzeln dazu geholt, so dass sie ihren Beitrag zu den Songs leisten konnten.

Bei einigen der neuen Songs, beispielsweise "Two Silver Trees" ist das Intro besonders gelungen, finde ich.

John Convertino: Ich denke auch, dass das einer der schönsten Momente auf dem Album ist. Wir haben allerdings sogar überlegt, das herauszunehmen. Aber am Ende ließen wir es doch drauf. Entstanden ist es mit einer pentatonischen Skala, also Fünftonmusik zunächst auf der Gitarre, die das japanische, das asiatische Gefühl erzeugt. Dann brachte Martin Wenk ein Omnichord mit. Das ist ein billiger Synthesizer aus den 80ern. Und dann spielte Nick Luca, ein Freund, der im Studio arbeitet, auch noch ein Instrument, das glaube ich Chinese guizeng heißt. Wir haben also mit allen möglichen Instrumenten für einen besonderen Sound gearbeitet.

Und die Trompeten sind zurück.

John Convertino: Nun, auch auf "Garden Ruin" waren Trompeten drauf, aber wir haben etwas Anderes damit gemacht. "Garden Ruin" war vor allem der Versuch, etwas anders zu machen und den anderen Einflüssen auf die Band eine Chance zu geben. Bei diesem Album sind wir nun zurückgekehrt, haben aber auch wieder mit vielen verschiedenen Sängern und Musikern zusammen gearbeitet, die sehr viel zum Album beigetragen und uns beeinflusst haben.

Textlich spiegelt das Album eine gewisse Rastlosigkeit wieder.

John Convertino: Joey macht die meisten Texte. Es war interessant, mit welchen Ideen er kam, aber auch schwer zu beschreiben. Ich meine, wenn man in der Wüste lebt, dann spricht man viel über Wasser. Das mag der Grund sein, weswegen viele der Titel mit dem Ozean zu tun haben. Nachdem wir das Album beendet hatten, machte ich mit meiner Familie Urlaub in Mexiko. Ich war überrascht, dass die Songs am Ozean so gut klangen, obwohl sie aus der Wüste stammen.

Da fragt man sich doch, warum Ihre Lieder gerade in Deutschland so erfolgreich sind, wo wir doch keine Wüste haben?

John Convertino: Ich weiß es nicht. Sicher, es hat auch mit Hausmusik und unserem ersten Album zu tun, das zunächst in Deutschland auf diesem Münchener Label erschien. Natürlich haben wir auch viele großartige Shows mit Giant Sand in Deutschland gespielt. Vielleicht hängt die besondere Verbindung zwischen den deutschen Fans und uns auch mit dieser Weite im Südwesten der USA zusammen, die es in Deutschland nicht gibt. Wir sind schon so lange unterwegs und haben so viele Fans, die uns auch über Mund-zu-Mund-Propaganda weiterempfehlen. Es macht immer viel Spaß, in Deutschland zu spielen.

Stichwort Hausmusik. Das Label musste Ende 2007 schließen, es hat sich nicht mehr gelohnt.

John Convertino: That's really sad. Ich habe Hausmusik sehr gemocht. Sie hatten das Ziel, ein echtes Gefühl für die Musik zu behalten. Dass dieses Label geschlossen wurde, ist sehr typisch für die heutige Zeit. Es zeigt, wohin die Musik geht. Und das ist traurig. Ich habe das Gefühl, dass es vielleicht noch eine Umkehr gibt, dass die Leute müde oder krank von der Kälte der MP3s und dem Downloaden sind, dass sie vermissen, ein ganzes Album zu hören. Wir gehören immer noch zur 'old school', schreiben Titel, die zusammen gehören und wir stellen ein Album unter einem Thema zusammen. Das ist leider nicht mehr die Art, wie die Leute heute Musik hören.