VON RUANDA NACH BEZAU & RETOUR: a space-funk-afro-jazz-drum´n´bass odyssee
Jazz, Funk und Soul, African Percussion, Drum‘n‘Bass und BreakBeatz - die Kilimandscharo Dub & Riddim Society mixt vielerlei Zutaten zu einem feurigen Süppchen und würzt mit wunderbar exotischen Melodien, Grooves und Vibes. Drummer Alfred Vogel konnte für dieses Projekt grandiose Musiker begeistern: Den aus dem Senegal stammenden und in Paris lebenden, ungemein kreativen Gitarristen Hervé Semb, den vielseitigen und virtuosen Pianisten Peter Madsen – hier mal an der Fender Rhodes zu hören – und den Trompeter Herbert Walser, der es ohnehin gewohnt ist, sich lustvoll über alle Genregrenzen hinwegzusetzen. Für African Spirits und perkussive Feuerwerke sorgt der aus Ghana stammende Meistertrommler Kofie Quarshie. Michael Mondesir, der sonst für Pee Wee Ellis oder Fred Wesley die Funken sprühen lässt, ersetzt Richard Cousins am Bass. Am Spielboden präsentiert das grandiose Sextett nun seine erste CD »Last flight from Ruanda«.
a space-funk-afro-jazz-drum´n´bass odyssee
- Peter Madsen (p, spielte mit: Stan Getz, Stanley Turrentine, George Coleman, Kenny Garrett, Tom Harrel, Bill Frisell, Dave Liebman, Joe Henderson , Fred Wesley u. a.)
- Michael Mondesir (b, spielte mit: John McLaughlin, Django Bates, Ronny Wood, Billy Cobham, Jeff Beck u.a.)
- Hervé Samb (g, spielte mit: David Murray, Pharao Sanders, Cheikh Tidjane Seck, Mark Gilmore, Me`Shell Ndegeocello)
- Kofie Quarshie (perc, spielte mit Peter Gabriel u. a.)
- Alfred Vogel (dr, spielte mit: CeCe Rogers, Peter Brainin, Charles McNeal, Brendan Adams u.a.)
- Herbert Walser (tp, spielte mit : Florian Bramböck, Dirty Horns, Nicolaus Harnoncourt u.a. )
kdr society
hip to be happy
„Anfangs führte unsere Musik in eine düstere, freiere Richtung, aber als die Afrikaner durch die Tür kamen, ging sofort die Sonne auf. So viel Freude und Spaß kommt man einfach nicht aus, daher sind wir auch musikalisch auf der fröhlichen Seite gelandet. Der CD-Titel mag ein wenig klischeehaft klingen, aber wir leben diese Erkenntnis mit der kdr society, wenn wir einfach nach Herzenslust musizieren, ohne viel den Kopf einzuschalten zu müssen.“ (Alfred Vogel)
Es geht um Profil. Wer mit seiner Band nicht in die Globalisierungsfalle der Beliebigkeit tappen will, muss sich unterscheiden. Die kilimandscharo dub & riddim society (kdr society) klingt in Sound und Mix nach den Siebzigern. Manche Passagen verweisen auf den Soul Jazz der sechziger Jahre, anderes wirkt wie ein Link ins Clubbing London der Neunziger. Afrika gehört dazu, in der Struktur und den Texten der Lieder, der Neigung zu zyklischen Phrasierungen und Motiven, der percussion-betonten Instrumentierung. Eine Ahnung des Psychedelischen trifft auf konkrete Tanzbarkeit, eine Prise klangethnischer Anarchie verknüpft sich mit der Lust am Improvisatorischen. Ziemlich viel für eine Band.
Den Ausschlag bildet die Spielhaltung. Denn der kdr society geht es zunächst einmal um sich selbst. Sechs Individuen aus drei Kontinenten treffen im Bregenzerwald aufeinander und wollen in erster Linie Freude an ihrer Musik haben. Der Gitarrist Hervé Samb stammt aus dem Senegal, der Perkussionist Kofi Quarshie aus Ghana. Peter Madsen und Michael Mondesir bringen an Fender Rhodes und Bassgitarre Nordamerika und England ins Spiel. Der Trompeter Herbert Walser und der Schlagzeuger Alfred Vogel komplettieren die Mannschaft durch das österreichische Element. Jeder der sechs Beteiligten wirft eigene musikalische Lebenswege in den stilistischen Schmelztiegel. Man hört keine musikakademischen Floskeln, keinen hochschulgeprägten Normklang. Im Gegenteil: Die kdr society lebt gerade vom Charme des Unmittelbaren und Assoziativen. Wenn Hervé Sambs Gitarre von der freundlich afrikanesken Begleitung in herb funkrockige Linien mündet, wenn Peter Madsens Rhodes vom sphärischen Schweben in lässig souljazzige Improvisationen übergeht oder die ganze Band vom Afro Beat zur Samba, vom Off Beat zum Modern Swing changiert, dann wirkt das organisch und im Sinne der gemeinsamen Spielfreude zwingend.
Nun ist kein Konzept auch ein Konzept. „hip to be happy“ ist das zweite Album der kdr society nach „last flight from ruanda“ (2005) und der live-EP „welcome to the village“ (2006). Die Band existiert seit vier Jahren in kaum veränderter Besetzung, lediglich am Bass ersetzte Michael Mondesir seinen Vorgänger Richard Cousins. Die Basis ist das österreichische Bezau, dort befindet sich auch Alfred Vogels Studio 'Tonschmiede', wo im März und April 2008 die aktuellen Aufnahmen entstanden. Tourneen haben das Sextett inzwischen durch halb Europa geführt (Jazzfestivals in Kaunas 07, Sibiu 07, Kalisz 08, Bad Hofgastein 08, Warschau 08, Clubs und Tourneen in A, CH, D, Litauen, Rumänien, Polen und Schweden), die Presse bescheinigt ihm „Weltmusik von Format“ (handlemedown,de), „Präzisionsarbeit par excellence“(rocktimes.de), „eine ganz eigene Art von Instrumentalmusik“ (jazzdimensions.de).
Und die Chancen stehen gut, dass „hip to be happy“ den guten Start in einen Höhenflug verwandelt. Denn die Musiker sind ihrem Sound treu geblieben und entwickeln ihn behutsam in Richtung einer eigenen pankulturellen Klangidentität weiter. Sie haben spürbar Spaß an der Mixtur der individuellen Stilvorlieben, die sie mit souveräner Beiläufigkeit gestalten. Wenn man überhaupt ein Motto über die Musik der kdr society stellen will, dann ist 'hip to be happy' klug gewählt.
o-o-o-
Walter Gröbchen:
Es ist ja nicht so, dass man jedes Projekt automatisch ins Herz schließt, das man gleichsam vom nie abreißenden Förderband des Job-Alltags hebt, wendet, betrachtet und dann, mehr oder minder liebevoll, auf den eigenen Schreibtisch hievt. Das gilt für den Empfänger eines „Presse-Waschzettels“ genauso wie für seinen Schreiber. Nur der oder die Künstler, die verfolgen diesen Prozess mit nervösem Augenaufschlag. Kein Wunder: hat man doch Wochen, Monate, manchmal Jahre in den Entstehungsprozess des routiniert rezipierten Produkts investiert. Den professionellen Spreu-vom-Weizen-Trenner lässt derlei kalt. Meistens jedenfalls.
Manchmal auch nicht. In diesem Fall gilt letzteres. Denn dass ein Vogel namens Vogel das Büro betritt, in breitestem Vorarlbergisch „Grüß Gott“ (oder ähnliches) schmettert und einem ohne weitere Umstände ein höchst exotisches Unternehmen namens „Kilimandscharo Dub & Riddim Society“ nahelegt, das passiert nicht alle Tage. Und wenn sich dieses Projekt – kurz: KDR-Society – auch noch als faszinierender, intensiver, an- und aufregender Ausbruch aus der grauen Einöde namens Wirklichkeit herausstellt, dann streift man die routinierte Gleichgültigkeit ab wie eine zu enge Regenhaut an einem spätsommerlichen Sonnentag.
Genug der metaphorischen Bocksprünge. Die KDR-Society ist eine musikalische Import- und Export-Gesellschaft, gegründet und geleitet von Alfred Vogel, seines Zeichens Schlagzeuger in vielen Formationen dies- und jenseits des Arlbergs. „Diese ganz spezielle Band“, sagt er, „steht ja, wenn man so will, für das gemeinsame Funktionieren von unterschiedlichsten kulturellen, gesellschaftlichen, ethnischen Hintergründen. Der Albumtitel "Last Flight from Rwanda" rührt einerseits von einer kleinen Anekdote (die es noch zu erzählen gilt) her, andererseits ist es eine geplante Entführung des Hörers. Und „Rwanda“ eine Metapher für eine Welt, die nur sehr mühselig funktionierte und funktioniert.“
Es war tatsächlich die allerletzte Maschine, die letzten Sommer, an einem drückend heißen Tag im August, Herve Samb von Ruanda nach Amsterdam flog. Nach einem dreistündigen Aufenthalt ging es weiter nach Zürich, und von da ab nach Bezau im Bregenzerwald, zur ersten Aufnahmesession, direkt ins Studio von Alfred Vogel. Der war es auch, der vor knapp zwei Jahren so verrückt war, mit dem notorischen Spätflieger aus dem Senegal den Grundstein der KDR-Society zu legen, die nun ihren ersten Silberling im Koffer hat.
Ruanda – Bezau – Senegal? Klar: ... und New York, Ghana, San Francisco! Die KDR-Society ist ein bunt zusammengewürfelter Haufen aus Afrikanern, Amerikanern und Österreichern. Das jüngste Mitglied gerade mal Familienvater - 33, das älteste 2facher Grammygewinner - 50. Kofie Quarshie pflückte Kokosnüssse, während er in Acra (Ghana) Percussion studierte. Damals war Richard Cousins vermutlich gerade mit Etta James auf Tour und „totally high“. Peter Madsen drückte die Tasten für Stan Getz und Herbert Walser absolvierte gerade die Prüfung zum „Goldenen Leistungsabzeichen des österreichischen Blasmusikverbandes“. Herve Samb war der einzige Junge in Senegal, der Chuck Berry verehrte. Und Alfred Vogel trommelte das Solo von Led Zeppelins „Moby Dick“. 15 Jahre danach sollte die Liebe zum Jazz diese sechs Freaks (wie sie sich selbst bezeichnen) in einem Kuhdorf in Österreich zusammenführen, um miteinander aus jener Selbstverständlichkeit heraus zu musizieren, wie Mozart mit Kuta Kinte Kaffee getrunken hätte.
Alfred Vogel hörte den 25jährigen Samb mit David Murray. „Es war Liebe auf den ersten Blick, oder, besser: auf den ersten Ton“, schwärmt der Schlagzeuger von dem afrikanischen Wunderkind. Dieser sollte dann auch das Bindeglied werden in einer Band, die auf der Bühne „jedes Jazzclubs genau so besteht wie auf einem Rockfestival“. Vogel war es, der alle Mitglieder der KDR-Society schon vorher kannte, und der ahnte, dass dieses global zusammengewürfelte Sextett einnehmend inspiriert und inspirierend miteinander musizieren sollte.
Und da wären wir schon beim Punk(t). Denn wenn ein Jazz-Avantgardist wie P. Madsen; eine Blues- und Soullegende wie Cousins; der afrikanische Trommel-Guru Quarshie; der Trompeten- Allrounder Walser; der Afrosaiten-Gott Samb und eine „funky mountain goat“ wie Vogel auf einen Produzenten-Hasen wie Alex Deutsch (Cafe Drechsler/mouth2mouth, assistiert von Don Summer) treffen, dann kocht Punk hoch. Denn diesen entdeckt man in der Quint-Essenz der KDR-Songs, die Deutsch a.k.a. aleXdrum mit viel Liebe aus dem multikulturellen Gebräu destillierte und zu einem eingängigen Bouquet mit wunderbar exotischen Melodien, Grooves und Vibes zusammenstellte. Punk, weil sich ein derartiges Übermass an Gegensätzen und Disparatem nur durch eine anarchisch-anarchistische Grundhaltung verschmelzen lässt. Und weil sich die Vielfalt und Eigenständigkeit des KDR-Sounds nur dadurch rechtfertigt. Jazz, Afro-Funk, Drum’n’Bass, Psychedelic, Breakbeats. Robert Cray, Ornette Coleman, Led Zeppelin, Chuck Berry, Mozart, Talking Heads und Fela Kuti... You name it.
Die KDR-Society garantiert Trance, Inspiration und Transpiration. Oder, wie Alfred Vogel es zu einem Slogan zu verdichten weiß: „music for brain and booty!“. Das Amalgam dieser unzähligen Einflüsse spiegelt sich auch im Cover von „Last Flight from Rwanda“ wieder. Die international bekannte und ausgezeichnete Gestalterin Elizabeth Kopf griff dabei auf die sogenannte "P-Collage" von Suzie Kirsch zurück. Die Künstlerin hatte aus Fashion-Magazinen wie „Vogue“, „Madame“ usw. phallische Symbole ausgeschnitten und zu einer Collage zusammengestellt. Weibliches Haar, Luxusklamotten usw. gehen in archaische Muster auf. Symbiosen und Gegensätze, die seit jeher existieren. Und unser Leben - man denke nur an den ewigen Antagonismus zwischen Maskulinem und Femininem - mehr bestimmen denn je. Muster, die sich mit geringem Aufwand in der verschlungenen, hypnotisierenden Klangwelt der KDR-Society wieder entdecken lassen.
Verschiedene Kulturen sprechen hier eine gemeinsame Sprache. Dub, im Sinne einer musikalischen Universalsprache und als Ventil der Gegensätze. Peter Madsen hatte die Vision, die KDR-Society auch in einen politischen Zusammenhang zu stellen und diese tatsächliche „World Music“ mit allen Widersprüchen, Assoziationen und Zukunftsperspektiven in Szene zu setzen. Ich halte das für ein gewagtes, aber einlösbares Unterfangen. Der Ausgangspunkt ist mit „Last Flight from Rwanda“ gesetzt. Ziemlich selbstbewusst, ziemlich faszinierend, ziemlich einzigartig. Bitte schließen Sie die Sicherheitsgurte. Der Startknopf trägt die Aufschrift „Play“.
Walter Gröbchen