Werner Schwab, geboren am 4. 2. 1958 in Graz, studierte von 1978 bis 1982 an der Akademie der bildenden Künste in Wien; von 1981 bis 1989 lebte er mit Frau und Sohn zurückgezogen auf einem abgelegenen Bauernhof und arbeitete dort sowohl an seinen »verwesenden Skulpturen« aus Kadavern und Fleisch, als auch an Erzählungen und ersten Theatertexten. Die 16 Stücke, die er zwischen 1990 und seinem Tod in der Silvesternacht 1993 schrieb, machten ihn zum begehrten Bühnenautor, zum Skandal und zum Idol, zum Erfinder einer seitdem vielkopierten eigenen und unverwechselbaren Sprache.
Seine Stücke sind in wenigen Jahren zum festen Repertoire-Bestandteil deutschsprachiger Bühnen geworden, Stadt- und Landestheater plagen sich mit seiner jahrelang verhinderten Schnitzler-Adaption Der reizende Reigen, Keller- und Off-Bühnen versuchen sich mit unter-schiedlichem Erfolg an seinen Präsidentinnen, in den Seminaren fängt man an, die philosophischen Quellen, die Intertextualität seines ›Spätwerks‹ Faust : Mein Brustkorb :: Mein Helm zu ergründen. Übersetzungen ins Englische, Französische, Niederländische, Norwegische, Schwedische, Dänische, Ungarische, Russische, Spanische, Polnische, Bulgarische, Portugiesische und Rumänische beweisen die genuine Sprachkraft und den Rang seines Werks über jedes allfällige Sprachspiel hinaus.
Was Werner Schwab in den drei, vier Jahren schrieb, die er zur Verfügung hatte, ist von den Theatern, ist aus unserer Literatur nicht mehr wegzudenken. Das häßliche Portrait der häßlichen Verhältnisse, das er zeichnete, ihre groteske Übersteigerung, die Erkenntnis-funken, die aus seiner parodistisch und zugleich qualvoll verdrehten Sprache sprühen, sind Argumente genug, sein Werk zu studieren – oder einfach zu lesen.
»Schwab, das Genie, das Monster, das Ekel« (DIE ZEIT ) war der Tenor der Reaktionen auf seine Provokationen, die in einer bis dahin unerhörten neuen Sprache – Schwabisch – mit der Kultur ins Gericht gehen und jede Sublimierungstünche wegwischt. Eine schmerzhaft verrenkte Sprache tobt in seinen Texten, manchmal parodistisch, manchmal expressiv, immer aber wahnsinnig (und) komisch. Zwar ist in dieser Sprache nichts unverrückbar und nichts heilig, aber etwas nimmt sie doch ernst: aufzuzeigen, daß »alles lächerlich ist, wenn man an das Leben denkt.«
Sie heißen Erna, Grete und Mariedl. Sie sitzen in der Küche - der Papst erteilt im Fernsehen gerade den urbi-et-orbi-Segen - und halten Monologe. Sie erklären die Welt und plötzlich fangen sie an zu phantasieren, was das Leben als Belohnung für sie bereit halten könnte: Erna die Sparweltmeisterin, Grete, das lustige Luder und Mariedl, die fleißige Seele, die alle Aborte auch ohne Handschuhe reinigt. Man gönnt sich ja sonst nichts: In ihren Größenwahn steigern sich die drei aber heute wie in einen schönen Rausch hinein und sogar die Sprache schlägt Purzelbäume. Am Ende ist Mariedl, die jüngste der drei, abgeschlachtet, aber das Küchendozierleben der anderen beiden geht weiter wie bisher.
Erna, Grete und Mariedl sind "Die Präsidentinnen", Figuren aus dem meistgespielten Stück des Grazer Radikaldramatikers Werner Schwab, der zu den drei Damen einmal angemerkt hat: "Das sind Leute, die glauben, alles zu wissen, über alle zu bestimmen. Ich stamme aus einer Präsidentinnen-Familie." Schwabs "Präsidentinnen" sind ins Monströse vergrößerte Kleinbürger, deren Domäne das Verdrängen ist, aber gerade durch ihre selbstgefällige Bigotterie schlägt das Verdrängte mit doppelter Härte zurück. Auch sie entkommen nicht dem "Lebensschmutz, in dem das Geschlechtliche das ist, was das Menschliche hinaustreibt aus der Welt". Das Stück jagt die drei älteren Damen in immer wildere Allmachtsphantasien, die mehr und mehr sexuell aufgeladen und größenwahnsinnig werden. Am Ende zerschellt ihr Wahn brutal an der Realität: In der Phantasie von Mariedl, die eine religiöse Auferstehung durchexerziert ("Da unten ist Lourdes, so groß wie eine Zündholzschachtel"), tauchen plötzlich die Kinder von Erna und Grete auf und bringen ihre Eltern kaltblütig um. So viel Realität ist den anderen beiden eindeutig zu viel, Mariedl muß sterben. So genau wollen die beiden nämlich nicht wissen, was es mit ihren Kindern auf sich hat: Immerhin hat Grete jahrelang nichts unternommen, um den Mißbrauch ihrer Tochter durch deren Vater zu verhindern.
Nicht umsonst zählt Schwabs "Präsidentinnen" zu den meistgespielten Stücken. Es gibt drei Glanzrollen für ältere Schauspielerinnen und Schwab hat unübertroffen vielschichtige Menschenportraits geschrieben, die bösartig und enorm liebevoll zugleich sind. Besonders Mariedl lässt Schwab nicht los, sie wird in "Antiklimax", seinem letzten Theaterstück, noch einmal auftauchen. Mariedl ist die Königin der Aborte, eine jener gedemütigten und geschundenen Seelen, die Schwabs Figurenkosmos bevölkern. In den "Präsidentinnen" finden sich die wohl großartigsten Fäkalszenen der Weltliteratur. Sogar in ihrer Phantasie spielt der Stuhl eine Hauptrolle. Der Pfarrer versteckt für Mariedl - wie der Osterhase, heißt es im Stück - Geschenke im verstopften Klo: ein Gulasch, ein Bier und ein Parfum.
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Literarisches Werk
Literarische Performance
Das Lebendige ist das Leblose und die Musik (1989, Graz)
Dramen:
Die Präsidentinnen (1990, Uraufführung im Künstlerhaus, Wien) - auch als Hörspiel
Übergewicht, unwichtig: Unform (1991, Wiener Schauspielhaus)
Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos (1991, Münchner Kammerspiele)
Mein Hundemund (1992, Wiener Schauspielhaus) - auch als Hörspiel
Offene Gruben Offene Fenster. Ein Fall von Ersprechen (1992, Donaufestival Krems)
Mesalliance Aber wir ficken uns prächtig (1992, Schauspielhaus Graz)
Der Himmel mein Lieb meine sterbende Beute (1992, Kammertheater Stuttgart)
Pornogeographie. Sieben Gerüchte (1993, Thalia Graz)
Endlich tot endlich keine Luft mehr (1994, Saarländisches Staatstheater Saarbrücken)
Faust : Mein Brustkorb :: Mein Helm (1994, Hans-Otto-Theater Potsdam)
Mariedl/Antiklima(x) (1994, Freie Theatergruppe in Hamburg)
Eskalation ordinär. Ein Schwitzkastenschwank in sieben Affekten (1995, Deutsches Schauspielhaus Hamburg)
Troiluswahn und Cressidatheater (1995, Schauspielhaus Graz)
Der reizende Reigen nach dem Reigen des reizenden Herrn Arthur Schnitzler (1996, Schauspielhaus Zürich)
Hochschwab (1996, Wiener Schauspielhaus)
Prosa:
In harten Schuhen (Arbeitertagebuch 1980-83, herausgegeben 1999 von Ingeborg Orthofer)
Der Dreck und das Gute. Das Gute und der Dreck (2 Essays, 1992)
Abfall, Bergland, Cäsar. Eine Menschensammlung (1992)
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Die Krankenwurst
1984
Werner Schwab
Die Affen im Land sind die verknüpften Koben mit ihren Kultspitzen. Die Koben in einem Affen haben sich in die Hochform der großen Anstalt gedeutet. Die Affen tanzen für sich und die Länder mit dem Farbzeichen der Vergnügungsanstalten und der Krankheitsanstalten.
Dieses Haus wurde
zum Heile der Kranken
errichtet vom
Lande Steiermark
und eröffnet
1898
noch/wider
nicht ausgeschieden worden
vom gemeinem Hausdarm
gegen den Bruchwillen der Augen
rot/gelb
Als der Schmerz des Entzündeten größer wurde als er selbst, lachte er das erste Mal hinter sich hinaus. Den angelernten Zähnen des Aushaltevermögens sprang der Schmerztopf auf den Boden und das Timbre, das der Schmerz aus dem Hals des Entzündeten heraus geklaubt hatte, war das einer wilden Ente, wenn sie mit einer Auffälligkeit ein Raubzug von ihrem Nest fortlockt.
Die Bilder der Krankenwurst in ihrer Verschnürung. Die hereinkommende, in ihrer täglichen Zucht hingefallene Krankenwurst ist noch rau und parfümiert. In ihrem rosigen Fell lesen sich die Geschichten vom Zuchtschmerz auf dem unbeholfen gewordenen Fruchtboden.
Als dem Entzündeten für die Welt von den weißen Händen eine rissige Luft hinein geblasen wurde, hub er an zu bellen. Die Empfindsamkeit der Hunde hatte die wilde Ente abgebissen und wedelte das Wasser in die Augen. Die geschmeichelten Weißhände pfiffen sich stolz und fingierten sich zurück in den Brustkorb des Entzündeten.
Die kranken Würste strecken ihre Wunden heraus. Die weißen Hände belächeln die Wetterfühligkeit der Wundräder und jagen die Wunden in den geschützten Sprachsee. Die Wunden werden sittsam allein gelassen von ihren kranken Würsten.
Die Zunge hängt dem Entzündeten in den Speichelnapf. Er leidet als würde er lachen.
Die Krankenwurst nistet in ihren Ein- und Ausgängen, um näher bei der gelben Luft zu sein, und um ihre Entweichungen prüfen und kosten zu können.
Die ausgehauste Krankenwurst im Darm. Beschau der Dichte ihrer braunen Imitation.
Am Abort.
Dünner Stuhl
Fester Stuhl
riecht wie faules Blumenwasser.
Blumen im Wasser – Wärmeblumen – Sippenschutz.
Der Entzündete übergibt seinen Kot den fürsorglichen Tüchern. Ein Stück Darm folgt dem Kot. Die Umhüllung begleitet ihren Kot in die Schalen der Weißhände. Der Darm wird hinter die Lichtgrenze zurückgeschlagen, der Kot findet eine Begrüßung.
Auf den Rücken geworfen bespringt die Krankenwurst eine Geschichte. Der Totenkopf hängt am Zinken der Mistgabel auf dem gleichgültigen Acker. Die Gedanken fühlen in der Krume.
In den Augen der weißen Hände verliert die Geschichte ihre Geschwindigkeit und der Erdbildschädel versteckt seinen Eigenwitz. Schnell vergißt die Krankenwurst ihren Geruch und verwandelt sich in eine komplizierte Operation. Aus dem Lauf heraus war es so einfach gewesen, und jetzt die Enttäuschung, wenn der Abort besetzt ist.
Der Entzündete hat sich einfach abgeschlaucht (kurz). Ich habe mich auf die Starkhandseite geatmet, über den Intensivbettrand hinunter auf die Erde geschossen. Die weißen Hände dirigieren den Entzündeten in sein Korsett und zertreten die Würmer und Wurzeln auf dem Erdlinoleum.
Die Krankenwürste nehmen ihre gekochten Füllungen ein und bleichen sich rosa für die Ankunft der dem Blute nach zu den Krankenwürsten gehörigen Freistoffwürste. Der Krankheit der Wurst werden Narzissen hereingebracht, Opfertriebe mit Faulfleischgeruch (Tiertod als Vortod) und später, wenn das Farbenopfer von der Geruchsgewöhnung weggelacht worden ist, jagen die Nelken nach, – verwandter Geruch (schon süßlicher), doch rot und weiß.
Unter den Farbdüften sind die einzelnen Hausdüfte verborgen, die von den Krankenwürsten angehalten werden in den Falten der Lippen und Säcke, um die Nasen zu füllen, wenn sich die Keimfreiheit einmal überschlägt. Die einsickernden Freistoffwürste verwirbeln die Beweiskraft der anstaltseigenen Symphonie und müssen am Ende mühsam getilgt werden aus der Landschaft der Krankenwurst.
Kleiner Schluss zwischendurch in den Sturmaugen.
Der Entzündete verspottet die Luft. Der Hundeschleim hat ihn zugestopft. Fest wird gesaugt. Die Luft bohrt sich durch. Das Gesicht wird rot und satt gemacht. Die Luft brennt von vorne los im Entzündeten.
Die Krankenwürste kosen die Freistoffwürste in sich.
Auf ihre Wunden sprechen sie rosa Flicken hinauf. Der Appetit und der Stuhlgang der Liederlichkeit werden vorgetäuscht. Kriecht eine Übelkeit in die Wurst, schützt sie Nachdenklichkeit vor.
Der Schmerz des Entzündeten lungert in der Blindheit der Anstaltsaugen. Wutlustig fliegen die Finger des Entzündeten auf die Reizkörper der weißen Hände. Die Weißhände schlagen die Finger in den Entzündeten zurück. Die Reizkörper gehören der Blindheit der Anstaltsaugen.
Sieg, Kriege, keine Niederlagen.
Liegend erzählte Tagesgeschichten der Krankenwürste in den männlichen Umständen. Der Hahn in der Krankenwurst steigt in die Kirschbaumkrone. Der Kirschbaumschatten zieht einen weiblichen Umstand an den Stamm. Ein Hahn sieht Federn, Flaum und Huhn. Die Krankenwurst in den männlichen Umständen sieht einen Krieg im Schatten der Henne und springt. Der Hahn verwischt das Gewicht des weiblichen Zustands und bricht ihm das Rückgrat.
Der Entzündete hat der Anstalt ihre Bedeutung zurückgegeben. Die Bedeutung der Luft entschlüsselt der Entzündete nur mehr bei deren Verlassen seiner Lufttaschenbeutel. Der Entzündete atmet sich hinaus und bekleckert das Luftleben der Anstalt mit seinen Zeichen. Die Anstalt leckt sich sauber und sticht ihren absichtsgefärbten Sauerstoff hinein in den Entzündeten.
Die Krankenwürste und die Grade der Körperhaftigkeit ihrer Tagesgeschichten. Erzählungen schütten Belebung. Die Krankenwürste bluten sich voll und zeichnen sich aus mit den äußeren Wundmedaillien ihrer Umstände.
Die Innenwunde ist die wirkliche Krankheit und die Schuppenbildung ihrer Besonderheit. Eine schuppige Krankenwurst stürzt aus dem warmen Sippensumpf in die stechende Schmerzwärme und das große Sippenfleisch geht mit den Wörtern auf die Düngerstätte und kaut in der Mistwärme die letzten ausgebauchten Geschichten.
Die ausgezeichnete Fleischkrankenwurst führt die Tagesgeschichte in den Anstaltgängen vor und herum und der Hund der Geschichte findet Fährte um Fährte. Die Geschichten füttern einander, nehmen sich gegenseitig in den Mund und knüpfen den Siegeszug in die nächste Tagesgeschichte. Die Hunde gehören den Gehfähigen, die Grade der Gehfähigkeit sind die Hunde der neuen Geschichten.
Die Anstalt mitten im Sonntag.
Die Rosinenbrote und das violette Mitleid der hohen Tage auf dem Entzündeten.
Einer Krankenwurst wird der Rücken rot. Der Matratze sind die Stacheln für das duldsame Liegen gewachsen. Die Krankenwurst brüllt ihre halbleeren Füße an und will keine Krankenwurst mehr sein. Sie steckt ihren Kopf durch das Glas hinaus in die ungefilterte Luft und mißt gierig ihre Temperatur. Die weißen Hände fliegen auf, führen sich ein und werden Erinnerungen in den Organen der Krankenwurst.
Der Entzündete hat den lautlosen Schrei gefunden. Er schläft außerhalb seines Körpers. Die weißen Hände belauern seine Stille. Mit hohen Lockrufen ködern sie den Entzündeten. Piep, piep, piep.
Der Entzündete zeigt seine gelben Augen. Die weißen Hände lächeln. Der Entzündete schreit wieder.
Der Brei aus den weißen Löffelhänden in der Krankenwurst.
Die Hinterseiten der Breibäuche auf den Leibschüsseln.
Die Krankenwürste wiegen ihr Bauchfleisch und genießen die kleine rote Gesundheit im Gesicht. Die weißgläubige Temperatur kommt herein und mißt sich mit der der Krankenwürste. Die Arme sind um das Thermometer gebunden und lassen die Finger aus den Servietten die toten Vögel falten.
Der Entzündete wuchert seine Kehle zu. Die eingesperrte Luft schreit und rüttelt an der Kehle. Die weißen Hände rütteln an der Kehle. Die Kehle hat sich eingeschleimt und zusammengerollt. Die Luftrammböcke glitschen ab. Der Entzündete kocht seinen Kopf und schmiert sich zu. Die weißen Hände reißen seinen Grundriß auf. Der Entzündete zuckt die weißen Hände in die Irre und beweist seinen Grundriß hinter die Gewohnheit an eine Idee. Der Entzündete ist der Berg vor dem Süden der Anstalt. Die Anstalt ist der Berg vor dem Südende des Entzündeten.
Die Anstaltseisen im Krankengebirge. Bergschatten übertölpelt Südende.
Und die Krankenwürste verbringen eine uralte Jugend in der tropfenden Anstalt. Die Tropfen sind die bauchigen Töpfe des Milchzuckers. Der Milchzucker ist das Himmelwort aus der Anstaltszitze. Die Krankenwürste liegen auf ihren Wunden und loben die Muttertage, wenn sie als Tage heimlich die Wunden der Würste verjagen.
Die weißen Hände spielen auf den neuen Instrumenten im Hohlkasten des Entzündeten.
Die Krankenwurst lutscht an der Signatur der Anstalt.
Das Mundloch hat der Form des Zeichens nachgegeben. Die Dinge legen sich zueinander. Entweder die Kanten werden rundgeleckt, oder der Zunge wächst ein Leder.
Die Anstaltsinstrumente schreien ihre Geschichte in den entzündeten Kasten. Sie erzählen das Gehirn ihrer Form, die Angstaugen ihrer Farbe und singen von ihrer anorganischen Gleichgültigkeit; ist ein Abszeß zu heiraten oder ein verschämter Darm wachzuküssen.
Der Kultturm schüttelt seine Glocken und bläht seine schwarzgoldene Gesundheit. Eine Turmwurst behandelt ihre Hülle mit Weihrauch und fliegt hinunter zu den Krankenwürsten. Die Krankenwürste bekommen Lust an ihrer ungewöhnlichen Sterblichkeit und die weltrunde Bedeutungslosigkeit ihrer Wundgeschichten. Kontrapunktisch setzt die Turmwurst ihren hohen Geruch. Die Anstalt sekundiert und rechnet sich zusammen: Eine heimelige Dämmerung.
Der Entzündete quillt aus sich heraus. Die weißen Hände trocknen auf ihn ein. Als fleischroter Ziegelstaub senkt er sich auf seine Haut.
Die Krankenwürste lachen ihre Häute prall und bekommen feine Risse. Der Abend hat sich ihrer munteren Rundungen erinnert und tanzt ihnen sein Licht in ihre Bereitschaft. Die weißen Hände tasten sich herein und löschen den Abend hinaus. Das letzte Wort in der ersten Dunkelheit wird immer dem allernächsten Tag geopfert und der allernächste Tag hat den Geschmack aller nächsten Tage.
Die stillen Teile der Agonie und die langsame Sprache der Hautfalten des Entzündeten belohnen die weißen Hände mit hübschen, immer wieder wechselnden Kosenamen. Alle Namen enden mit i.
Die weißen Hände zwicken die schwarzen Zehennägel der Krankenwurst. Die Krankenwurst starrt in den Anstaltshimmel und wird geblendet. Die Wurst hat fast keine Zehennägel mehr und schlägt dem Licht das Wort: Licht hinauf. Die Krankenwurst steht auf und zieht die Hose hinunter. Ein Eisenbettrohr wird saftig und bekommt eine Rinde. Der Wursturin prasselt auf den Anstaltbaumstamm. Die Eisenrinde beginnt grün zu riechen. Die Krankenwurst beutelt sich ab und scharrt ihre schäumende Lache zu. Die weißen Hände stürmen den waldigen Koben. Eimer und Fetzen und Fluchen und Lachen. Und ein großes Netzgitterbett rollt herein, neue Bäume für die Krankenwurst. Dem Entzündeten werden die Betthausschuhe angezogen und das Gitterbett holt ihn herein. Zuerst haben sie die Baumstiefel heruntergezogen und dann haben sie mich zwischen die neuen Bäume geführt.
Der Entzündete unter der wachsamen Neonsonne. Seine Gelenke sind die Kettenhunde der Bettränder. Kein Finsterdrehen auf die Seite mehr. Sonne stark, Lider dünn, immer Licht.
Die Krankenwürste sind es leid. Die weißen Hände sind es leid.
Wursthand, Weißwurst, Leid um Kontamination.
Einmal!
Da überzeugt sich der Lichtausschlag der Anstalt noch durch die gezähnten Augendeckel in die Höhlen des Entzündeten. Und findet den einen Gedanken und schlägt ihn auf die Lichtbildwelt. Die Anstalt bricht, das Auge auch.
Ha!
Krankenwurst!
Auf einmal, nach einem schlechten Essen, ist die Eigenzeit unter dem Bett hingefallen. Jetzt müßte es kalt kommen und es kommt kalt.
Der ganze Raum dreht sich um und geht.
Hier also!
Ausdrücklicherweise
losgebunden
abgedunkelt
Entkommen
(aus)
Geschrieben im Leibschüsselspülraum, im Patientenklo, im Personalklo und in einem Abstellraum einer Krankheitsanstalt.
aus Manuskripte 139/98