treibhaus

Kulturprogramm für Stadtbenützer

Spielplatz am Volksgarten. Angerzellgasse 8, 6020 Innsbruck. Geöffnet alltäglich von 16:00 bis Sperrstund ist.

SHANTEL & BUCOVINA CLUB ORKESTRA

Disko Patrtizani Tour - Eine Bauernhochzeit auf dem Balkan

Shantel, alias Stefan Hantel, ist  Musiker und Produzent mit vielen Facetten. Dem “König des Balkan Dancefloor” (Mondomix) gelang es als erstem deutschen Künstler den BBC World Music Award (2006) zu gewinnen und sich an die Spitze der europäischen Weltmusikcharts zu setzen. Sein  Album „Bucovina Club “ wurde vom englischen Magazin Songlines zur besten Produktion des Jahres gekürt und in der internationalen Presse (u.a. im NME & Rolling Stone) gefeiert. Für seinen berauschenden Mix aus Balkan Beats, Gypsy Grooves, Freestyle Electronica und Russen-Disko ist er weltweit renommiert und gefragt. Shantel hat die wildesten Sounds Osteuropas in die Clubwelt gebracht. Seine „Style-Revolution“ begann unmittelbar nach einer Reise in die Bucovina, einer Grenzregion zwischen Rumänien und der Ukraine, Heimat seiner Familie mütterlicherseits. Shantel hat mit seiner Revolution eine völlig neue Welle in der Pop- und Musikkultur ausgelöst, die die energiegeladenen Klänge des Ostens bar üblicher Klischees, ethnologischen Ballasts oder volkstümelnder Traditionalismen einem neuen Publikum präsentiert. Dieser neue Sound hat sich mitt-lerweile fest etabliert und ist ein unvergleichlicher Mix aus Romantik, Leidenschaft, Feuer und Anarchie. Seine Partys schließen dort an, wo die ekstatischen Raves der House- und Technogeneration aufhörten.  Speziell: Shantel kommt nicht nur mit seinem Konserven-Köfferchen, er nimmt ein ganzes Live-Orkestar ins Treibhaus mit.

Shantel, alias Stefan Hantel, ist ein Musiker und Produzent mit vielen Facetten. Dem “König des Balkan Dancefloor” (Mondomix) gelang es als erstem deutschen Künstler den BBC World Music Award (2006) zu gewinnen und sich an die Spitze der europäischen Weltmusikcharts zu setzen. Sein letztes Album „Bucovina Club Vol. 2“ wurde vom englischen Magazin Songlines zur besten Produktion des Jahres gekürt und in der internationalen Presse (u.a. im NME & Rolling Stone) gefeiert. Deutsche und französische Fernsehanstalten (ZDF, ARD & Arte) brachten ausführliche Berichte über ihn, dutzende von Interviews liefen in Radioprogrammen in ganz Europa. Für seinen berauschenden Mix aus Balkan Beats, Gypsy Grooves, Freestyle Electronica und Russen-Disko ist er weltweit renommiert und gefragt. Shantel hat die wildesten Sounds Osteuropas in die Clubwelt gebracht. Seine „Style-Revolution“ begann unmittelbar nach einer Reise in die Bucovina, einer Grenzregion zwischen Rumänien und der Ukraine, Heimat seiner Familie mütterlicherseits. Shantel hat mit seiner Revolution eine völlig neue Welle in der Pop- und Musikkultur ausgelöst, die die energiegeladenen Klänge des Ostens bar üblicher Klischees, ethnologischen Ballasts oder volkstümelnder Traditionalismen einem neuen Publikum präsentiert.
Dieser neue Sound hat sich mittlerweile fest etabliert. Sein unvergleichlicher Mix aus Romantik, Leidenschaft, Feuer und Anarchie macht aus Shantel und seinem Bucovina Club eines der aufregendsten musikalischen Genres unseres Planeten. Shantel hat die angesagtesten Plätze der Welt im Sturm erobert, darunter so illustre Häuser wie die Berliner Staatsoper, die Brixton Academy in London, das Cabaret Sauvage in Paris, das Tim Festival in Rio de Janeiro sowie das legendäre Festival Transmusicales in Rennes. Er tritt regelmäßig in zahlreichen europäischen Städten wie z.B. Berlin, Wien, Zürich oder Istanbul auf. Im Herbst hat er eine von MTW präsentierte Tournee zum Erscheinen des legendären Borat-Films absolviert. Soeben abgeschlossen hat Shantel die Arbeit am Soundtrack des neuen Films von Fatih Akin (mehrfach ausgezeichnet für „Gegen die Wand“), der 2007 in Cannes uraufgeführt werden soll. Jetzt legt er letzte Hand an sein neues Album “Disko Partizani“, welches im September 2007 erscheinen wird, das er als DJ sowie mit seinem Bucovina Club Orkestar promoten wird.
Shantels Auftritte generieren pure Euphorie. Seine Partys schließen dort an, wo die ekstatischen Raves der House- und Technogeneration aufhörten. In der Vogue konnte man lesen: “Shantel//Bucovina Club ist wahrscheinlich das interessanteste Party- und Musikkonzept seit der Erfindung von Acid House!” Shantel mixt osteuropäische Magie mit Hightech-Rhythmen organisch zusammen. Mit seinem Style bringt er alle möglichen Szenen, Altersgruppen und Nationalitäten zusammen – allerdings nicht in betulich politisch-korrekter Multikulti-Art und Weise. Deshalb: Kickt das Sofa in die Ecke, öffnet den Wodka und lasst die Party steigen!



SHANTEL & THE BUCOVINA CLUB

Sie blasen zum Sturm auf die Sinne

Er hat die Musik des Balkans inhaliert und die Elektronik mit dem Gipsy-Swing infiziert. DJ Shantel alias Stefan Hantel bläst zum Sturm auf das Partyvolk.
Jentsch Christian
TT: Sie haben 2002 im Frankfurter Schauspielhaus den Bucovina-Club ins Leben gerufen, um dort eine Melange aus ländlichem Zigeuner-Swing und urbanem Elektropop zu servieren. Wie sind Sie überhaupt auf die Zigeunermusik des Balkans gestoßen?

Hantel: Ich bin mit dieser Musik aufgewachsen. Meine Großeltern kommen aus der Stadt Czernowitz - dem einstigen Zentrum der Bucovina im Habsburgerreich - und sind nach Deutschland ausgewandert.

TT: Und haben die Klänge ihrer Heimat mitgenommen.

Hantel: Ja, und sie haben diesen Schatz weitergegeben. Czernowitz, das heute in der Ukraine liegt, war einst die Schnittstelle zwischen Orient und Okzident. In der Stadt lebten einst Juden, Christen und Moslems, hier verbanden sich Kulturen und Religionen zu einer prickelnden Melange. Die Stadt galt als Paris des Ostens. Und die Musik, übrigens in ganz Osteuropa bis heute von den Zigeunern geprägt, legt Zeugnis davon ab.

TT: Haben Sie ihre musikalische Heimat auch schon einmal besucht?

Hantel: 2000 war ich zum ersten Mal in der Region. Ich habe eine versunkene Welt kennen und lieben gelernt. Und die Reise hat einen Wendepunkt in meiner künstlerischen Arbeit beschrieben.

TT: Inwiefern?

Hantel: Aus der Elektronikszene kommend - ich habe als DJ gearbeitet und auch Nummern für Kruder und Dorfmeister geschrieben - haben mich der Blaskapellen-Sound und der Gipsy-Swing in ihren Bann gezogen. Ich wollte den Balkan mit nach Deutschland nehmen und der Elektronik neues Leben einhauchen. Statt durchgestylter elektronischer Soundmuster rockt nun verbeultes Blech (analog aufgenommen, Anm.) das Partyvolk.

TT: Sie haben mit dem Bucovina-Club in der Szene für frischen Wind gesorgt. Was zeichnet ihren Sound-Mix aus?

Hantel: Die Elektronik hat sich abgenutzt, ihre Seele verspielt. Doch die Trompeten, Posaunen und Akkordeons der Zigeuner nehmen den Hörer gefangen. Die Zigeunerkapellen wie das Kocani-Orkestar, die Fanfare Ciocarlia oder die Taraf de Haidouks versprühen Kraft und Energie. In ihrer Musik liegt Leidenschaft, Emotion und Romantik. Hier riecht es nach Leben. Die Energie einer Bauernhochzeit auf dem Balkan sprengt alle Grenzen

TT: Passt die Bezeichnung Weltmusiker überhaupt zu Ihnen?

Hantel: Das ist ganz einfach Rock’n’Roll. Ich mache Jugend- und Popkultur, die Nächte im Frankfurter Bucovina-Club sprühen vor Energie, wie bei einer Rave-Party.

TT: Die Zigeuner-Blasmusikkapellen sind ja mittlerweile - nicht zuletzt durch Emir Kusturicas Kinoerfolge wie "Underground" - weltweit populär geworden. Balkan-Beats sind Fashion, auch wenn Österreich noch hinterher hinkt. Wird der Hype noch länger andauern?

Hantel: Man kann nicht wirklich von einem Hype sprechen. Aber sicher, seit dem Fall der Berliner Mauer ist die Musik aus dem Osten Europas auch in den Westen übergeschwappt. Plötzlich konnten die Kapellen auch bei uns auftreten und Publikum gewinnen.

TT: Kann die Musik auch helfen, die Kultur dieser für uns oft so fremden Welt besser zu verstehen.

Hantel: Die Zigeunermusik muss man nicht erklären, sie braucht keine intellektuellen Interpretationen. Der Swing dringt direkt in unsere Seele und lässt uns in eine faszinierende Welt eintauchen. Da ist wirklich nichts aufgesetzt, hier ist alles ganz "Down to earth".





It´s a remarkable picture that you see, the minute
you step into Bucovina Club: the audience is out of his head, with its hands
in the air. Cheering up the DJ who thrones under a textile canopy like an
enchanted sultan. Some even hold their mobile phones on to the speakers to
give remote friends a brief impression what is going on. Others throw money
bills into the air and let them pour on their heads. Some try their first
steps in bellydancing. These pictures of nights at the Bucovina Club surely
display all elements of a proper rave. It´s all there: the energy, the
ecstasy, the magic, the fire, passion and romance. In its intensity, they
resemble the prime years of techno parties circa 1989. That is to say, the
music played here is not hypermodern and purely electronic but traditional
and mostly recorded analogue. Rhythm and melodies are not programmed but
stem from the sound of horns and kettle drums. And the preferred drug here
is not ecstasy but vodka.

The Bucovina Club was started by the Frankfurt
based DJ and music producer Shantel. Coming from the electronic music scene
he obviously has switched camps and has now turned to the music of the
Balkans, the brass bands of Macedonia, the gypsy swing of the Wallachei.
These sounds are familiar to him since his childhood. His grandparents came
from Czernowitz, that was once the center of the Bucovina. This historically
rich region in the East Carpates once belonging to the Habsburg empire is
today a part of Romania, its northern regions belonging to the Ukraine since
1940. On old records and in cooking recipes the family of Shantels mother
kept romantic memories of its native land at home. Besides, Shantel grew up
like any other juvenile and soon immersed deeply into the Frankfurt
nightlife. As a producer and a DJ he is well known on the international club
circuit. Out of curiosity, in summer 2001, he headed to Czernowitz in the
Ukraine and from there further on to Romania, to the land of his
forefathers. On markets and the natural streets of this region he met again
the sound of the Balkan that remained there until today catching him at
once. During this visit, he came up with the idea to bring this sound
together with the indigenous atmosphere to Frankfurt. By chance, the
schauspielfrankfurt was looking for a new series of events that would exceed
the simple concept of a party. And so the Bucovina club started, and changed
the foyer of the venerable theater into a madhouse more than once. A
madhouse with scenes of drunkeness and fraternization, of anarchy and good
vibrations that sometimes resemble the films of Emir Kusturica. It was
Kusturica´s movies that primarily introduced a western audience to the mad
brass sound of the wild East. The film score was composed by the Bosnian
rockstar Goran Bregovic, that rose to one of the most demanded film score
composers of the nineties.He helped to strip the fanfares of the Balkan from
the smell of outbackishness and opened the door to the west for further
representatives of this tradition. Roma brass bands like the Boban Markovic
Orkestar, the Kocani Orkestar or Fanfare Ciocarlia found their ways out of
their villages onto the world´s stages since. With their deranged, patinated
trumpets, trombones and clarinets, the attractively twisted, sometimes
deliberately off-tune intonation are their trademarks. The source of their
music lies in the times, when the entire Balkan was under osmanic rule.
Then, military bands of the Janitschar armies were an essential part of
psychological warfare. With their shalms, horns and trumpets they spread
fear and shock in the region and left behind traces in the popular music of
the region. It´s no cliché that the best musicians of the Balkan are Roma,
as the music of Eastern Europe is largely shaped by gypsies. Being
discriminated in other jobs, they made their living by performing on
matrimonies, funerals and local fests. The music they play is popular music
in its true sense and combines the oriental heritage with modern influences.
No wonder, one can hear well known pop melodies in the repertoire of a
balkan combo, like a medley from Abba or a quotation from Shaggy. But also
Cuban mambo, Turkish cream or Indian filmscore-hits are happily weld into
the music. // The term “gypsy music” is not marking an own genre, no unique
style: In Serbia, Macedonia and Moldavia the brass bands are leading. In the
Romanian Wallachei though, the tradition of the Lautari is perpetuated.
Colored by a fiddle, a bass or an accordeon, represented by Taraf de
Haidouks, a generation spanning, all star band that is made up with the best
from the music village of Clejani, close to Bucharest. Taraf de Haidouks was
the first traditional Roma ensemble that established itself in Western
concert halls.

The present album contains some of the highlights that are
already well approved on the dancefloor of Bucovina Club. The main focus
here is on originals in a traditional style, which blend seamlessly into the
remix works and the compositions by Shantel. This shows the producer´s
certain purism. And it shows the strength of the Eastern Europe sound, with
its raw and pure power that carries away even the odd occidental scepticist.
// With Shantel may this sound find many new friends. Or, to close with a
motto by George Michael: “Listen without prejudice!”





DER DISKRETE CHARME DER ANARCHIEvon DANIEL BAX
Osterweiterung für europäische Ohren: Nach dem Zusammenbruch des ehemaligen Ostblocks hat die Musik der Zigeuner eine echte Renaissance erlebt. Nun werden die Roma-Orchester auch für die Tanzflächen der westlichen Clubkultur fit gemacht

Serbien sucht den Superstar. Einmal im Jahr, jeweils am letzten Wochenende im August, versammelt sich die musikalische Elite des Landes in der zentralserbischen Kleinstadt Guca, um die beste Blaskapelle der Saison zu küren. Der Sieger erhält die "Goldene Trompete" und kann sich glücklich schätzen, denn die Trophäe ist bares Geld wert: Wer sie besitzt, der wird für die größten Hochzeiten und die wichtigsten Feiern des Jahres gebucht.

1961 von jungen Intellektuellen ins Leben gerufen, gegen den Widerstand der Behörden des Tito-Regimes, hat sich das Festival seitdem zur regelrechten Olympiade der Blasmusik ausgewachsen, die alljährlich Zehntausende Besucher aus aller Welt in die 3.000-Seelen-Gemeinde lockt. Drei Tage und drei Nächte dauert der Wettbewerb, bei dem die 50 besten Kapellen gegeneinander antreten, und überall riecht es nach Speck und Bier: Eine Art Love Parade der Blasmusik, deren Ruf so weit gedrungen ist, dass abgebrühte Wohlstandskinder aus dem entfernten Westen die Strapazen der Reise auf sich nehmen, um einmal an diesem Gipfeltreffen der Volksmusik teilzuhaben. Aber hat da jemand Volksmusik gesagt?

Der entfesselte Blaskapellen-Sound des wilden Ostens ist schließlich weltweit populär geworden, seit ihn Emir Kusturica durch Filme wie "Underground" und "Schwarze Katze, Weißer Kater" bekannt gemacht hat. Maßgeblich beteiligt an dieser Musik war das Orchester von Boban Markovic. Der Erfolg der Kusturica-Filme hat ihm nun auch im Ausland die Türen geöffnet. Inzwischen wird das elfköpfige Ensemble mit seinen Tubas, Pauken und Trompeten deshalb auch auf westeuropäischen Bühnen gebucht, und hat jeden dritten Tag irgendwo auf der Welt einen Auftritt. "Wir spielen überall: Mal vor hundert Menschen, mal vor 25.000 Menschen wie kürzlich in Wien", erzählt ein erschöpfter Boban Markovic stolz nach seinem Auftritt beim Berliner "Heimatklänge"-Festival. Trotz seiner vielen internationalen Verpflichtungen aber schwört Boban Markovic auch heute noch auf die spezielle Atmosphäre von Guca: "Das sind für mich die schönsten Tage des Jahres."

Glorie des Sozialismus

Das Boban Markovic Orkestar ist gewissermaßen der FC Bayern München unter den Blaskapellen der Region. Seit es 1988 zum ersten Mal in Guca angetreten ist, hat es den Wettbewerb mehr als zehn Male gewonnen. In diesem Jahr ist Boban Markovic deshalb nur als Gast in Guca, dafür hat er in einem lokalen Vorentscheid in der Jury gesessen. "Ich will Jüngeren den Vortritt lassen", behauptet der Meister gönnerhaft. Angefangen hat auch er als Anheizer auf Hochzeiten, wie alle Gipsy-Kapellen des Balkans. Heute hat er dafür kaum noch Zeit. Allenfalls für eine Promi-Hochzeit lässt er sich buchen: Kürzlich etwa hat er für einen berühmten jugoslawischen Basketball-Star aufgespielt.

Auf dem Balkan gehören Roma-Ensembles wie das Boban-Markovic-Orchester bei Hochzeiten und anderen Feierlichkeiten regelrecht zum Inventar, das hat Tradition. Die osteuropäische Folklore ist praktisch identisch mit dem Attribut "Zigeunermusik", stellen Roma doch die Mehrheit der Musiker in der Region. Im privaten Rahmen waren sie stets wohl gelitten. Doch mit der öffentlichen Anerkennung ihrer Musik war das so eine Sache. Auch die Roma-Musiker der Region wurden gegängelt, und mussten sich staatlichen Folklore-Vorstellungen fügen. Das lässt sich gut an der Geschichte des Festivals von Guca nachvollziehen: Waren noch bis in die Siebzigerjahre hinein Propagandaschlager Pflicht - Märsche und patriotische Lieder, die etwa den Landbau glorifizierten - so weitete sich das Repertoire mit der Zeit. Frühe Aufnahmen entstanden eher beiläufig, und wurden nicht systematisch archiviert. Und weil die Plattenindustrie einem staatlichen Monopol unterlag, konnten sich auch kaum kommerzielle Karrieren entfalten. Es ist daher kein Zufall, dass es nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Regimes zu einer Renaissance der Zigeunermusik kam - nicht nur im Ausland, sondern auch im ehemaligen Ostblock selbst.

Dabei gab es schon zu sozialistischen Zeiten durchaus Differenzen zwischen den einzelnen Staaten: Im ehemaligen Jugoslawien konnte eine Roma-Sängerin wie die mazedonische Diva Esma Redzepova immerhin zum nationalen Star avancieren, der vor Tito auf den Bühnen der sozialistischen Bruderstaaten auftrat. In Bulgarien dagegen, wo unter dem Shivkow-Regime gegenüber den Minderheiten des Landes ein strikter Assimilationskurs gefahren wurde, gab es weitaus weniger Aufstiegsmöglichkeiten.

"Früher hätten wir keine Chance gehabt", gibt Jony Iliev zu, einer der Stars der neuen bulgarischen Musikszene. "Da wäre eine Karriere wie die meine nicht möglich gewesen." Der Sänger stammt aus der Stadt Kyustendil, einer ärmlichen Roma-Siedlung südlich von Sofia. Der 32-Jährige ist der jüngste Spross einer über Generationen reichenden Musikerfamilie, von seinen acht Brüdern spielen zwei in seiner Band mit. Als Nesthäkchen scheint Jony Iliev von einem mächtigen Ehrgeiz getrieben, sich in Szene zu setzen: Bei seinen Konzerten wirft er selbstverliebt seinen Kopf umher, um seine langen Haare wehen zu lassen. Dabei ist es seine Stimme, die ihn heraushebt. Schon als Zehnjähriger sang er auf örtlichen Hochzeiten. Inzwischen tritt er in Fernseh-Shows und den bekanntesten Clubs von Sofia auf. Seit 1991 hat er eine ganze Reihe von Kassetten und CDs herausgebracht, zuletzt stand sein Song "Godzilla" monatelang an der Spitze der bulgarischen Charts.

Out of Kyustendil

"Der Durchbruch ist über Nacht gekommen", behauptet Jony Iliev heute rückblickend, während er versonnen an seinem Goldkettchen zupft. "Erst nach der Wende hat man erkannt, dass diese Musik Qualität hat." Dass er heute auch außerhalb Bulgariens Engagements verzeichnet, hat Jony Illiev der kleinen Plattenfirma Asphalt Tango aus Berlin zu verdanken, die sein jüngstes Album auch im Ausland vertreibt. Das kleine Team von Enthusiasten hat es sich zur Aufgabe gemacht, der Roma-Musik des Balkans ein Forum zu geben. Dafür stehen sie dem Künstler auch zur Seite, wenn es an die Produktion seiner Platte geht.

In den schmerztriefenden Balladen und dem tänzelnden Folkpop von Jony Iliev spiegeln sich die Einflüsse von Jazz, Klassik und mediterraner Musik. Zwei seiner Musiker, der Bassist und der Mann am Akkordeon, haben in Wien Musik studiert, der Rest stammt aus Kyustendil. "Es war schon immer unser Traum, diese Musik clubtauglich zu machen", sagt Jony Illiev, und dass ihm das wohl gelungen sei, zumal er sich mit seinem verfeinerten Stil ja von der Menge der vielen bulgarischen Folk-Stars von heute abhebe. "Das Publikum ist schließlich auch reifer und wählerischer geworden." Jony Iliev hat sich mit seiner Musik aus dem Ghetto gespielt. Aber was ist mit Arbeitslosigkeit und Diskriminierung, die heute auf vielen Roma-Gemeinden lasten? "Ich habe nie darüber nachgedacht, ob die Zeiten gut oder schlecht sind", bedeutet der Sänger salomonisch. "Die Zeiten sind nie gut."

Das dürfte Stefan Hantel wohl anders sehen. Der Frankfurter DJ hat gerade einen Sampler mit ausgesuchten Balkan-Tracks herausgebracht, auf dem einige der bekanntesten Roma-Ensembles vertreten sind. Nun freut er sich über eine euphorische Kritik in der De:Bug, eigentlich ja eine Zeitschrift für elektronische Musik, und dass seine CD im Plattenladen im "Clubmusik"-Fach eingeordnet wird: Dadurch erreicht er schließlich ein anderes Publikum als die übliche Zielgruppe, die sich für Weltmusik erwärmt.

Zum Gespräch trifft er sich im italienischen Restaurant, die Sonnenbrille ins blondgewellte Haar gesteckt. Stefan Hantel hat sich als DJ und Produzent Shantel im elektronischen Zwischenreich von Dub, Downbeat und House einen Namen gemacht. Doch irgendwann wurde ihm die rein elektronische Musik zu langweilig. Als er dann auch noch zu einer abenteuerlichen Reise durch die unzugängliche Bukowina aufbrach - Grenzregion zwischen Rumänien und der Ukraine und Herkunftsort seiner Eltern -, war die Idee geboren, das musikalische Lager zu wechseln. Bei seinen "Bucovina Club" genannten Partys, mit denen Shantel seitdem regelmäßig das Schauspielhaus Frankfurt aus den Fugen hebt, stehen nun die Gipsy-Gassenhauer des Balkans im Mittelpunkt. "Ich lege diese Musik so auf, wie ich sonst House-Platten auflege", erzählt der DJ. "Und zu diesen Parties kommen Leute, die sonst zu House-Raves gehen."

Daneben strömen aber auch viele Gäste aus Exjugoslawien in den "Bucovina Club", was zur speziellen Atmosphäre beiträgt. Nicht selten geht es im Foyer des Frankfurter Theaters dann zu wie auf einer rauschhaften Hochzeitsfeier auf dem Balkan: Geldscheine werden in die Luft geworfen, und ganze Gruppen wiegen sich im Bauchtanzschritt. Es ist dieser süße Charme der Anarchie, der schon die Filme von Kusturica inspiriert hat und nun auch die Frankfurter Clubszene bereichert. "Ich verstehe das auch als Kritik an einer Clubkultur, die mir zu eindimensional und inhaltsleer geworden ist", meint Shantel. Die selbstverständliche Verbindung von Volksmusik und Elektronik mag manchem dabei neu erscheinen. Doch "im Osten wird diese Kombination nicht als exotisch wahrgenommen", hat Stefan Hantel auf seinen Reisen bemerkt. "Es zählt nur, ob es rockt. Wo es herkommt, spielt keine Rolle."

Ihm selbst rockt die Balkan-Musik allerdings noch nicht genug. Zwar sind in Osteuropa durch die Demokratisierung der Produktionsmittel in den letzten Jahren Tausende von Aufnahmen entstanden, oft unter Einsatz von Synthesizern, Computern und Effektgeräten - nur wenige aber weisen einen qualitativ hochwertigen Sound auf.

Electric Gipsyland

Kürzlich erst stand Shantel mit Boban Markovic im Studio. "Das ist ein absolut geniales Orchester", zeigt er sich begeistert. "Aber die meisten seiner Aufnahmen sind fantasielos produziert." Nun hat er für Boban Markovic einen House-Remix gefertigt, der dessen Blaskapellensound behutsam für die Tanzfläche fit macht. "Wir pumpen das auf, um der Musik die Kraft zu geben, die ihr gebührt", erklärt er sein Konzept. "Die Bläser müssen einfach messerscharf kommen." Wie beim aktuellen HipHop strebt er die maximale Steigerung des Sounds an, um die optimale Durchschlagskraft zu erzielen. "Das muss im Autoradio so fett klingen wie ein Stück von 50 Cent", findet Shantel.

Mittlerweile kann er sich vor Remix-Aufträgen für die etabliertesten Roma-Ensembles kaum noch retten. Gerade arbeitet er für das belgische Weltmusik-Label Crammed Disc an einer ganzen Remix-Compilation, die demnächst erscheinen soll. Der Arbeitstitel lautet: "Electric Gipsyland". Dabei ist ihm sehr wohl bewusst, das er bei solchen Remixen dezent vorgehen muss, um der komplexen Rhythmik und Melodik der Vorlagen gerecht zu werden. Vom rein konservatorischen Ansatz mancher Ethnomusikologen, welche diese Musik grundsätzlich vor den Zumutungen der Moderne bewahren wollen, hält er naturgemäß nicht viel. Aber auch vor einer zunehmenden Kommerzialisierung, die diese Musik in eine zu starke Stromlinienförmigkeit pressen könnte, hat er keine Angst. Für solche Befürchtungen gebe es überhaupt keinen Anlass, so Shantel: "Das ist doch das Schöne an dieser Musik: Sie lässt sich nicht assimilieren."





Eine irrwitzige Mischung aus Orient und Okzident, aus Balkansound und Elektropop: der "Bucovina Club", den Shantel, DJ und Musikproduzent, auf die Beine gestellt hat. Für Shantel ist das "Drei Tage Bauernhochzeit auf dem Balkan."

Volksmusik als neuer Kick im coolen Frankfurter Nachtleben? Für Shantel eine Familienangelegenheit. Seine Großeltern stammen aus der Bukovina, dem heutigen Grenzgebiet von Ukraine und Rumänien.

Für den Frankfurter DJ ist die Begegnung mit der Musik des Balkans, den schrägen Klängen der Roma- Blaskapellen eine Befreiung vom Diktat der Clubszene: "Hier geht es um ein generelles Lebensgefühl, losgelöst von Genres oder Stilen. Es hat nichts mit fashion zu tun, es ist völlig out, völlig unzeitgemäß, es ist alt, es ist neu, einfach nicht zu fassen."

Wenn "Bucovina Club" angesagt ist, ist das Haus voll. Im Glasfoyer des Theaters herrscht eine andere Atmosphäre als in gewöhnlichen Clubs. Offen für alle, nicht nur für Szene-Leute. Ein internationaler Treff. Und das Schauspiel Frankfurt hat auch was davon: es kommen Leute ins Haus, die sonst einen großen Bogen ums Theater machen.

Dazu Peter Wellach, Kurator des Schauspiel Frankfurt: "Disco ist es nicht. Das hat auch damit zu tun, dass man Schwellenängste nehmen will. Theater ist nicht nur bürgerlich, das ist das, was das Haus ausstrahlt, und das versuchen wir zu entkräften; eine Atmosphäre schaffen, wo man einfach mal hingehen kann."


Die Spielfreude dieser muslimischen Roma aus Mazedonien ist ansteckend. Publikum und Musiker auf Tuchfühlung. Auch dafür steht der Name "Bucovina" - für die Vision eines Miteinanders der Kulturen.

Peter Wellach: "In Frankfurt sind auch viele Kulturen zusammen, Frankfurt hat, glaube ich, einen Ausländeranteil von mehr als 30%; d.h. da muss man sehen, dass man zusammenleben kann. Die Bucovina an sich ist ein Beispiel dafür, wie man mal miteinander leben konnte, ohne dass es gleich Konflikte gibt."

Shantel: "Es ist die Schnittstelle zwischen Orient und Okzident, es ist ein Vielvölkerstaat, ein turbulentes, friedliches Miteinander von verschiedenen Kulturen, Nationalitäten, Religionen, alles was die Menschen entwickelt haben in den letzten tausend Jahren an Individualität, das vereint sich da drin."

Das "Prinzip Bukovina" scheint einen Nerv zu treffen. In Deutschland, das sich schwer tut im unverkrampften Umgang mit Volksmusik, kommen die Blaskapellen gut an. Die wilden Rhythmen einer Musik, die seit Jahrhunderten auf Balkan-Hochzeiten gespielt wird, verwandeln das sterile Theaterfoyer.

Der Club geht auf Tournee und hat auch anderswo Erfolg. Bald soll es auch ein Festival geben: "Bucovina Club" mit Theater und Literatur. Shantel ist der Motor des Ganzen. Er sucht die Musiker aus und sorgt nach dem Konzert weiter für Partystimmung. Nächste Woche stellt er seine neue CD vor: die Highlights des Bucovina-Clubs und einige Titel von ihm selbst: Synthese von Balkanfolklore und elektronischen Beats.